Rezension

Ruhig und eindringlich

Die November-Schwestern -

Die November-Schwestern
von Josephine W. Johnson

Bewertet mit 5 Sternen

Neunzig Jahre ist es her, dass Josephine W. Johnsons Roman zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Seine Themen und die Art, wie sie behandelt werden, sind jedoch überraschend zeitlos. Johnson erzählt die Geschichte der Haldmarnes, Arnold und Willa, und ihren Töchtern Merle, Marget und Kerrin. Die Geschichte wird rückblickend, aus einem Abstand von 10 Jahren erzählt; Erzählerin ist die mittlere Tochter Marget.

Nachdem Arnold aufgrund der Wirtschaftskrise seinen Job im Sägewerk verloren hat, zieht er mit seiner Familie zurück auf die Familienfarm, die mit einer Hypothek schwer belastet ist.  Es bräuchte nicht viel – ein gutes Erntejahr - um die Haldmarnes aus ihrer Armut zu befreien und ihr den relativen Wohlstand ihrer Nachbarn im Norden, der Rathmans, zu ermöglichen. Im Vergleich mit ihren schwarzen Nachbarn im Süden, den Ramseys, geht es ihnen jedoch noch ziemlich gut, und so stellt der Vater Grant ein, der ihm mit den schweren Arbeiten zur Hand gehen soll, in der Hoffnung auf künftige Überschüsse.

Dann setzt eine Dürre ein. Als die Teiche austrocknen und die Ernte auf den Feldern verdorrt, beginnen die Sehnsüchte, die seit Grants Ankunft schwelen, aufzuflammen. Kerrin wird immer verzweifelter in ihrem Streben nach ihm, aber Grants Zuneigung gilt Merle, die sie nicht erwidert. Die schüchterne und schlichte Marget ist daran gewöhnt, ihre Gefühle zu verbergen und ihre Hoffnungen zu dämpfen. Eher unscheinbar, tritt sie stets zurück hinter der klugen, selbstbewussten Merle, und der schönen, labilen Kerrin, die sich bedenkenlos nimmt, was sie will. Marget beobachtet das Geschehen von der Seitenlinie aus, und ihre Sensibilität für Grants Herzschmerz und ihre eigene geheime, unerwiderte Liebe zu ihm bilden das Herzstück des Buches. Mir gefiel der Realismus in Johnsons Figurenzeichnung außerordentlich gut.

Ganz große Poesie ist, wie Johnson die Natur in ihrem anfänglichen Idealzustand und dann ihren langsamen Hitzetod beschreibt, und ebenso bedrückend. Das harte Leben der Farmer wird uns vor Augen geführt – wo eine Missernte, ein Streik, ein Sturz, eine Verbrennung oder ein gebrochener Knochen den Abstieg auslösen kann. Es gibt keine Sicherheit, die Abhängigkeit von äußeren Faktoren – dem Wetter, dem Markt – ist total. Vom Staat gibt´s keine Hilfe, stattdessen Steuerforderungen. Als die Ramseys von ihrem rassistischen Pachtherrn von ihrem Land vertrieben werden, können weder Grant noch die Haldmarnes helfen – und die Autorin lässt uns ihre Scham darüber mitfühlen.

Unerwiderte Liebe, Existenzängste, psychische Krankheit, Rasse und Genderthemen -  das alles ist immer noch aktuell und berührt uns ebenso wie die LeserInnen von vor 90 Jahren. Die Dürre und ihre Folgen, die ausdrucksvoll geschilderten Waldbrände, stellen einen lebhaften Bezug zur heutigen Klimasituation her.

Von Anfang an vermittelt der Roman eine Atmosphäre drohenden Unheils. Die Erwartung dieser diffusen Katastrophe erzeugt einen starken Spannungsbogen, obwohl vordergründig gar nicht viel passiert. Die Tragödie aber, die über die Familie am Ende hereinbricht, habe ich, trotz permanenter Mutmaßungen, nicht vorhergesehen. Wenn man nach dem Ende der Lektüre noch einmal zu den ersten Seiten des Romans zurückkehrt,  scheint sich ein Kreis zu schließen und die Geschichte erlangt zusätzliches Gewicht und Klarheit. Was Marget an ihrer Mutter immer bewundert hat, eine Fähigkeit zur Akzeptanz, die auf einer verborgenen inneren Kraft beruht, das hat sie schließlich selbst erlangt. So schließt der Roman mit einem Ton zwischen Hoffnung und Resignation.

Sicher keine leichte Lektüre, sondern ein ruhiger, eindringlicher Roman um die essentiellen Dinge des Lebens – in großartiger Sprache.