Rezension

Schicksalstage am Fjord

Schicksalstage am Fjord - Sofie Berg

Schicksalstage am Fjord
von Sofie Berg

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Schicksalstage am Fjord" von Sofie Berg erschien (Paperback, 2019) im Gmeiner Verlag, München. Die Autorin, deren Großmutter selbst Norwegerin war, verwebt hier sehr gekonnt und spannend die an ihre eigene Familiengeschichte angelehnte Geschichte der fiktiven Familie Bakken in Trondheim, Norwegen in einer düstere Zeit: Unter der Besatzung des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg.

 

"Das Leben in Norwegen unter der deutschen Besatzung ist gefährlich, vor allem für diejenigen, die Widerstand leisten. Nach der Verhaftung von Vater und Schwager wendet sich die junge Norwegerin Ingrid Bakken hilfesuchend an ein Mitglied der norwegischen Nazipartei und wird damit für ihre Familie zur Verräterin. Ingrid bemüht sich, das Verhältnis zu ihrer Familie zu retten - und hat Erfolg. Doch dann begegnet ihr die große Liebe - in Gestalt eines deutschen Soldaten. Wird sie es wagen, ihren Gefühlen nachzugeben?"

(Quelle: Buchrückentext)

 

Die Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg begann am 4. April 1940; in den folgenden Kriegsjahren begleiten wir die Familie Kristine und Nils Bakken aus Trondheim, besonders die Hauptprotagonistin Ingrid Bakken, als 19jähriges Mädchen die Jüngste der Familie: Ihr Bruder Arne ist im Widerstand und überzeugt seinen Schwager Einar, der bereits 1941 verhaftet wurde und erst nach Wochen wieder frei kam, der Gruppe beizutreten: Die Gestapo hat ihr Hauptquartier im früheren "Missionshotel" und verfolgt jede Spur des Widerstands - dazu kommt noch die Gesinnungslage mancher Norweger, die sich in der Nazipartei "Nasjonal Samling" vereint haben und mit denen die "Jossinge", die königstreuen und loyalen, antifaschistischen Norweger nichts zu tun haben wollen, hinzu. Die Bakkens sind allesamt Jossinge - und gehören der Gewerkschaft und teils der kommunistischen Partei an. Daher hat die Familie wenig Verständnis für Ingrid, die durch eine frühere Freundin, deren Eltern der Nasjonal Samling angehören und Feste mit den Deutschen feiern, Hilfe erfährt, um ihren Vater aus der Haft zu entlassen: Ingrid hatte große Angst, dass sie ihrem Vater und auch Schwager etwas antun könnten.

Die Familie interpretiert den Kontakt zu Solveig anders: Ingrid ist von nun an eine Verräterin, die den Kontakt zu Solveig nicht unterbunden hat. Hier spielt der Stolz des Vaters eine Rolle, der von Menschen mit dieser Gesinnung keine Hilfe annehmen will.

 

Ingrid arbeitet in einer Konservenfabrik und da die Lebensmittelknappheit größer wird, überlegt die Familie, über den Sommer nach Selbu an der Grenze zu Schweden zu reisen, wo sie Verwandte hat und die Versorgungslage entspannter ist. Nur Ingrid soll in Trondheim bleiben - sie wird überhaupt nicht in die Reisepläne der Familie einbezogen. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf:

 

Solveig überredet Ingrid, mit zum Tanztee zu kommen, wo auch deutsche Soldaten sind. Ihr Bruder Arne hat Ingrid davor gewarnt, sich mit dem Feind einzulassen und kann sie vor einem Übergriff des Nachbarn, der ihr Avancen macht, retten: Ragnar Mykland. Dieser trägt im weiteren Verlauf Persönlichkeitszüge von Henry Rinnan, dem Anführer der Rinnan-Bande, die als Kollaborateure der Gestapo sich in Widerstandsgruppen einschleusten und diese aufdeckten: Ihre Methoden waren dabei ebenso inhuman wie die der Nazis: Sie folterten und töteten unschuldige Norweger (Rinnan wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet).

 

Angewidert von Ragnars wiederholten Annäherungsversuchen, findet Ingrid in Georg Reimers einen jungen sympathischen Mann, der sehr sanft ist und sie wiedersehen will: Doch Georg ist gebürtiger Hamburger, ein Soldat der deutschen Wehrmacht - und damit eigentlich ihr Feind!

Es ist mehr als berührend zu lesen, wie tragisch der innere Konflikt von Ingrid ist, die sich darüber bewusst ist, dass es einen Bruch mit der Familie geben würde, wenn sie diese Liebe offen leben würde. Daher blüht sie im Geheimen - und lässt sich dennoch von Krieg und Gewalt nichts befehlen: Sie ist einfach da.

 

Genau dies versteht Sofie Berg sehr gut, herauszuarbeiten: Aber auch die inneren Konflikte, die in der Familie durch die Verbindung von Ingrid und Georg entstehen, sind sehr bildhaft und authentisch beschrieben. Einzig die Mutter, eine sehr starke Persönlichkeit, deren oberstes Gebot ist, die Familie zusammen zu halten und keines ihrer Kinder (Astrid, die Älteste, die mit Einar verheiratet ist und 2 Söhne hat, Kjell und Per; Arne, ihren Sohn und Ingrid) zu bevorzugen: Auch nach dem "Fehltritt" von Ingrid, der doch eines Tages offenkundig wird, steht sie zu ihr, während Astrid, die durch die Inhaftierung und Deportation nach Deutschland ihres Mannes Einar die Deutschen hasst, ebenso wie ihr Vater Nils und vor allem auch ihr Bruder Arne sich von Ingrid abwenden. Erschüttert muss man lesen, dass Bruder, Schwester und der eigene Vater das Zimmer verlassen, wenn Ingrid hereinkommt. Dass sie kein Wort oder nur das Allernötigste mit ihr sprechen. Dass Ingrid auch keine Erklärungen ihrerseits abgeben kann, die anerkannt werden; etwas, dass Georg nicht dafür verantwortlich ist, dass Einar verhaftet wurde. Im Verlauf des Romans, in dem auch (1942) Hamburg dem Erdboden gleich gemacht wird, stellt sich mehr und mehr heraus, dass Georg kein überzeugter Nationalsozialist ist. Dennoch wird er als Feind von der Familie abgelehnt (ausser von Kristine, ihrer Mutter) und Ingrid wird immer klarer, dass sie sich zwischen beiden entscheiden muss....

 

Der historische Roman von Sofie Berg gibt einen sehr guten Einblick in eine fiktive norwegische Familie, die exemplarisch für viele stehen könnte, während der deutschen Besatzungszeit: Auch historische Ereignisse und Personen werden genannt, über die man bei Interesse anderenorts noch mehr in Erfahrung bringen kann (Quisling, Rinnan). Auch die Zeit nach der deutschen Kapitulation und das Aufatmen der vom deutschen Joch befreiten norwegischen Bevölkerung erlebt man mit Kristine und den anderen Familienangehörigen mit: Für Menschen, die in deutschen Firmen arbeiteten (Bautruppen z.B.) oder in Fabriken, war es auch nach dem Krieg sehr schwer, eine neue Anstellung zu finden. Frauen, die mit deutschen Soldaten ein Liebesverhältnis eingingen, wurden (ebenso wie in Frankreich) geschoren, verachtet, beschimpft und kamen in ein Lager: Liebe in Kriegszeiten wird von der Gesellschaft hart bestraft und viele dieser Frauen wurden zu Unrecht gedemütigt und drangsaliert. Ingrids Schrecken, als sie eine ihr bekannte Frau so sieht, kann man gut nachvollziehen.

 

Ingrid selbst fand ich sehr authentisch und sympathisch; die stärkste Frau im Roman ausser Ingrid selbst ist ihre Mutter Kristine, die sich wie eine Löwin vor ihre Tochter stellte und sehr souverän handelte. Weniger sympathisch war mir Astrid, Ingrid's Schwester: Ihren Hass auf die Deutschen übertrug sie gar auf ihre Söhne und ihr Verhalten Ingrid gegenüber empfand ich als bösartig und sehr gehässig. Anders Einar, ihr Mann, der stets ein gutes Verhältnis mit seiner Schwägerin Ingrid hatte! Der Vater, der sich auch sehr hart von seiner jüngsten Tochter abgewandt hatte, bekam einen Pluspunkt am Romanende: Er hatte ein ganz besonderes Geschenk für sie, was mich überaus freute.

 

Fazit:

 

Ein sehr lesenswerter, auch spannender und gut geschriebener Roman aus der Zeit der deutschen Besatzung, der sehr berührt und nachdenklich stimmt. Ich hatte eigene, persönliche Gründe, diesen Roman zu lesen und muss sagen, dass es ein erhellender (weiterer) Lichtblick für mich war, diese Zeit aus der Perspektive einer norwegischen Familie (mit)erleben zu können, der sehr authentisch wirkte. Die Großmutter der Autorin war selbst Norwegerin, wie sie im Nachwort schreibt und der Roman basiert teils auf den Aussagen und Erzählungen des Großvaters. Das Glossar, das die norwegischen Begriffe erklärt, rundet zudem diesen außergewöhnlichen Roman positiv ab.

Ich vergebe 4,5 Sterne und empfehle diesen Roman gerne uneingeschränkt weiter!