Rezension

schockierend realistisch

EVIL -

EVIL
von Jack Ketchum

Bewertet mit 5 Sternen

Im Corona-Lockdown vor einem Jahr unterstütze ich meine lokale Buchhandlung, die auch ein Antiquariat beinhaltet, indem ich für 20 Euro Thriller bestellte. Die Auswahl überließ ich der Buchhändlerin. Neben einigen belanglosen Krimis des üblichen Handwerks war EVIL unter der Auswahl.

Das Vorwort von Stephen King ist absolut lesenswert, denn es führt nicht nur in die Geschichte ein, sondern beschreibt Werk und Leben des relativ unbekannten US-amerikanischen Autors Jack Ketchum.

Stephen King ist, wie man aus Interviews, YouTube-Filmen und vor allem seiner großartigen Schriftsteller-Autobiografie "Das Leben und das Schreiben " weiß, trotz seines grandiosen Bestseller-Erfolgs ein bescheidener Mann geblieben, der angehende Schriftsteller-Kollegen nicht wegbeißt, sondern sie fördert und ihnen Mut macht. Im Vorwort zu EVIL stellt er vollkommen uneitel fest, dass schriftstellerischer Erfolg letztendlich Glückssache ist und dass es viele großartige Autoren gibt, die unerkannt bleiben und niemals zum Ruhm und Erfolg kommen.

Jack Ketchums Roman ist aus der Perspektive eines Heranwachsenen geschrieben, der Stück für Stück zum Mitwisser und gewissermaßen auch Mittäter in einem grausamen Missbrauchs-Drama wird. Wir können nicht anders, als uns mit dem jugendlichen Helden zu identifizieren und in seiner Haus in das grausame Verbrechen hineingezogen zu werden.

Der grandiose Suspense, mit dem Jack Ketchum die Handlung vorantreibt, zwingt uns Leser, Seite um Seite zu verschlingen, obwohl wir zunehmend angeekelt sind vom Voyeurismus des Helden, der zugleich auch unser eigener Voyeurismus ist. Quasi angeekelt von uns als Leser können wir das Buch nicht aus der Hand legen.

EVIL beruht auf wahren Tatsachen. Das Böse tritt hier nicht in Form irgendeines dieser perversen männlichen Triebtäter auf, die heutzutage fast zum Standard von Thriller sind, sondern in Gestalt einer überforderten Mutter, die aus übersteigertem Kontrollzwang heraus immer grausamer wird. Aufgrund der großartigen Charakterzeichnung jenseits aller Schwarz-Weiß-Malerei können und müssen wir Leser uns auch mit ihr identifizieren.

Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten, die geschilderten Grausamkeiten haben sich tatsächlich ereignet. Die Kunst Jack Ketchums besteht darin, dass er nicht von einer höheren Warte herab voller Verachtung auf die Handelnden schaut, sonder sich mitten unter sie begibt. So gelingt es ihm, seinen Lesern zu vermitteln, dass in jedem von uns ein potentieller Täter bzw zumindest teilnahmsloser Beobachter von Verbrechen steckt, dass wir alle zu derartigem fähig sind.