Rezension

Sie können die Vergangenheit nicht wiederholen

Der General findet keine Ruhe - Tomás E. Martinez

Der General findet keine Ruhe
von Tomás E. Martinez

Bewertet mit 3.5 Sternen

Muss man die argentinische Geschichte kennen, um diesen Roman zu verstehen? Ja und nein.

Ja – denn der General, der keine Ruhe findet, ist Juan Perón, Witwer der hierzulande womöglich bekannteren Evita Perón, und zweimaliger Präsident Argentiniens. Er wurde durch die politische turbulenten 1930er Jahre, das „berüchtigte Jahrzehnt“ (década infame) der Militärputsche, an die Macht gespült und ´gewann 1946 die Wahlen. Seine Politik war eine rechtsgerichtete Form der „Demokratur“ auf Basis der Arbeiterbewegung. Schon 1955 wurde Perón weggeputscht und überwintert achtzehn Jahre im spanischen Exil. Hier, in Madrid, beginnt auch der Roman.

Nein – denn die Geschichte Peróns ist auch die universelle Geschichte eines von seiner historischen Bedeutung durchdrungenen Entmachteten. Oder die eines Mannes, der in großer Gegenwart um eine große Zukunft betrogen wurde, die er beide zurückhaben haben möchte. Perón ist hier mit dem „großen Gatsby“ vergleichbar: „Sie können die Vergangenheit nicht wiederholen.“ – „Nicht wiederholen?“, rief er ungläubig aus. „Wieso, natürlich kann ich!“ Perón hier wie Gatsby scheitern zu sehen, benötigt die argentinische Geschichte nicht. Das Spiel mit der Vergangenheit, der historischen, ja biographischen Wahrheit, die Bedeutung der Geschichte und der Geschichtsschreibung - diese literarischen Themen weisen über den historisch-faktischen Horizont.

Inhalt

Juan Peron kehrt 1973 nach achtzehnjährigem Exil zurück in die Heimat. Er soll und will wieder regieren, anknüpfen an seine große Zeit, als wäre nichts geschehen. Der Roman begleitet den General bei seinen Reisevorbereitungen und seinen Wanderungen in den Erinnerungen. Die Erzählstränge kreuzen sich hier: Perón macht sich auf zur Rückkehr – „Dieses Flugzeug fliegt in Gegenrichtung zur Zeit.“ (S. 19) –, und mit seiner Ankunft in Argentinien endet der Roman. Gleichzeitig führen die Erinnerungen zunächst ganz an Anfang und Vorgeschichte Peróns und tragen seinen Lebensweg und die Handlung des Romans durch die Jahre seiner Jugend, Kadettenzeit und Militärlaufbahn. Der Perón der Vergangenheit wird vorgestellt als einer, der die Zukunft plant, der Perón  der Romangegenwart plant seine Vergangenheit, indem er sie umschreibt. (S. 302)

Der Roman zeichnet vor allem Peróns Selbstbild und seine egozentrische Erinnerungskonstruktion nach, ergänzt aber die Ereignisse durch Erzählstränge über Gefolgsleute und den Journalisten Zamora, der die wahre und wirkliche Geschichte hinter Perón aufzudecken beauftragt ist. Die von Zamora ausgegrabene Persönlichkeit Peróns weicht immer stärker von der selbstbeweihräuchernden Geschichtsverbiegung ab, mit der Perón seine Erinnerungen zur Heiligenlegende seiner selbst werden lässt. „Perón und Jesus Christus - ein einziges Herz“. (S. 240)

Dass Perón in seiner Version der Vergangenheit lebt, wird auch im Motiv der im „Heiligtum“ aufgebahrten Evita verdeutlicht: Der Sarg der populären Betörerin der Massen dämmert unter dem Dach des Exils und wird von Perón wie ein Schrein besucht. Es treffen sich hier zwei Geister: jener der verstorbenen Evita und jener Geist Peróns, der sich von dem realen Menschen längst abgelöst hat. Hier blitzt auch kurz – selten genug – der magische Realismus der südamerikanischen Literatur auf. (S. 362 ff., 422) Peróns „Angst vor der Geschichte“ (S. 142) treibt ihn dazu, mit dem Versuch einer zweiten Präsidentschaft das Rad der Zeit zurückzudrehen, die „Irrtümer der Wirklichkeit“ (S. 78) wie etwa den Putsch 1955 gegen ihn ungeschehen zu machen. „Die Geschichte wird mit derjenigen Wahrheit vorlieb nehmen müssen, die ich erzähle“. (S. 71) Sehr geschickt erzählt Martinez, wie Perón für sich die eigene Geschichte aufbessert, indem er mit seinem sinisteren Privatsekretär das Manuskript seiner Memoiren durchgeht und buchstäblich korrigiert. Immer wieder kreist der Roman um die Konstruktion und Dekonstruktion von Geschichte, von Mythos, Erinnerung, Wahrnehmung; bisweilen auch zynisch: „Die Geschichte ist eine Hure. Sie geht immer mit dem, der am meisten zahlt.“ (S. 261) Oder wiederholt im Motiv der Fliegen, die sich zu Unzeiten überall ballen: 4.000 Augen der Fliegen sehen 4.000 Wirklichkeiten. (S. 300)

Das Romanfinale – Peróns Rückkehr – gerät zum Fiasko: Die Menschenmassen, die seine Ankunft in Ezeiza zu Hunderttausenden erwarten, werden aufgestachelt, niedergeschossen, auseinander getrieben, denn zu unterschiedlich sind die Hoffnungen und Visionen, die seine Anhänger mit Perón und seiner Person verknüpft haben: Sie sind Gegner, sogar Feinde im Namen desselben Mannes. Peróns großer Irrtum ist, geglaubt zu haben, zurückzukehren und einfach weitermachen zu können. Der letzte Satz der Handlung aus dem Mund des Journalisten Zamora fasst alles zusammen: „Wir werden nie wieder so sein, wie wir waren.“ (S. 498)

Cover

Auf dem Cover prangt die Schwarzweißfotografie einer Ankleideszene mit Evita im Zentrum, der Giséle Freund eine Brosche ans weiße Kleid heftet, während vom rauchenden Peron gerade einmal die Generalsmanschetten und der Anschnitt des Gesichtes zu sehen sind. In Rosarot schwingt sich geschnörkelt der Titel in Schreibschrift darüber. Als hätte man eine Schmonzette in der Hand. Vollkommen unpassend.

Fazit

Martinez macht es seinem Leser nicht leicht, seinen sperrigen Roman zu mögen, auch wenn zu keiner Zeit außer Frage steht, dass er gut ist. „Der General findet keine Ruhe“ ist wie London im Herbst: eine tolle Stadt, in der man sich wegen des Wetters aber nicht so gern aufhält.