Rezension

Spannend, verwirrend und voller Fragen zum Nachdenken

Atemnot - Ilsa J. Bick

Atemnot
von Ilsa J. Bick

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Es gibt Geschichten, in denen das Mädchen seinen Prinzen findet, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.
So eine Geschichte ist das hier nicht.
Jenna Lords Leben verlief bisher nicht gerade wie im Märchen. Ihr Vater ist ein kontrollbesessener Neurotiker und ihre Mutter Alkoholikerin. Früher war ihr älterer Bruder ihr einziger Halt, doch jetzt ist er im Irak stationiert. Und vor einigen Jahren wäre Jenna beinah bei einem Hausbrand ums Leben gekommen.
Es gibt Geschichten, in denen das Monster das Mädchen umbringt und alle um das unschuldige Opfer trauern.
So eine Geschichte ist das hier auch nicht.
Mitch Anderson hat viele Qualitäten: Er ist ein engagierter Lehrer und Lauftrainer. Ein liebevoller Ehemann. Ein Mann mit einer ziemlichen … Anziehungskraft.
Und dann gibt es noch die Geschichten, bei denen man schwer sagen kann, wer der Prinz und wer das Monster ist, wer das Opfer und wer es verdient, bis an sein Lebensende glücklich und zufrieden zu leben.
Diese Geschichten sind die besten.

Zitate

"Ich will dir diese Geschichte nicht erzählen. Und weißt du auch, warum? Weil das ein Märchen mit Zähnen  und Klauen ist. Und weißt du, was ich überhaupt nicht abkann: dass du Schwarz und Weiß willst, Gut und Böse. Das ist doch das Problem mit der Wahrheit. Die Wahrheit kann manchmal sehr vieldeutig sein, oder sie kann wie ein Abklatsch klingen." (Seite 15)

"Geheilt ist nur ein anderes Wort dafür, dass ich deine Art zu denken akzeptiere. Geheilt nennt man jemanden, der endlich zu allem Ja und Amen sagt." (Seite 346)

Meine Meinung

Das Cover ist sehr gelungen, es wirkt düster, mysteriös. Der verzweifelte Gesichtsausdruck und die herabfließenden Tropfen machen neugierig auf den Inhalt. Der Blauton ist gut getroffen und das dunkle Schwarz oben passt zum bedrückten Titel.

Atemnot gehört zu den Büchern, bei denen ich nach dem Lesen gar nicht weiß, was ich in die Rezension schreiben soll. Aber nach einigem Überlegen versuche ich es mal.

Der Einstieg legt sofort Spannung vor und wirft Dutzende Fragen auf. Jenna wird fast erfroren und völlig verwirrt aus einem See gefischt und erhält von einem Kommissar ein Aufnahmegerät, auf dem sie ihre Geschichte erzählen soll. So erfährt man viel von ihr und ihrer Familie. Dass ihre Situation problematisch ist, steht bereits im Klappentext, aber in Wahrheit ist es noch schlimmer. Ihr Vater - den sie passenderweise Psycho-Dad nennt - kümmert sich kein bisschen um etwas anderes als sich selbst und sein Geld, und ihrer Mutter scheint sie auch egal zu sein. Jennas Mittel, um den Druck zu lindern, ist, zu ritzen. Diese Szenen finde ich eher gewöhnungsbedürftig, aber obwohl die Versuchung groß ist, widersteht Jenna, was dann sehr erleichternd ist.

Grundsätzlich ist Jenna ein unglaublich vielschichtiger Charakter, wie sie schonungslos mit der Wahrheit umgeht und kein Blatt vor den Mund nimmt. Erlebnisse werden oftmals ziemlich heftig erzählt. Ihre Gedanken sind sehr interessant, aber auch konfus. Überraschung, Schock, Bestürzung, Verwirrung - hier sind viele Emotionen drin.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich - aber im positiven Sinn. In Jennas Erzählweise ist eine besondere Note, die es anders macht und die ich nicht wirklich beschreiben kann. Die Spannung macht nie wirklich Pause, auch wenn manche Stellen mehr, manche weniger interessant sind. Zudem fehlt mir mancher Moment, in dem der Puls plötzlich in die Höhe schnellt. Das liegt aber daran, dass ich etwas völlig anderes erwartet habe. Aber auch so wurde ich nicht enttäuscht.

Jennas Chemielehrer, Mr. Anderson, ist der einzige, der sich um Jenna sorgt, weshalb sie sich gleich von ihm angezogen fühlt. Diese Art Besessenheit ist meiner Meinung nach allerdings übertrieben. Dem Leser hingegen erscheint Mr. Anderson eher suspekt, ich musste ständig seinen Beweggrund hinterfragen. Das Misstrauen hält sich durch das ganze Buch, weshalb ich mich auch nicht entspannen konnte, wenn die beiden zusammen waren.

In diesem Buch war ich oft verwirrt, da viel passiert, immer mehr Fragen hinzukommen und es wahnsinnig viel Stoff zum Nachdenken gibt. Etliche Fragen werden auch überhaupt nicht geklärt, was wiederum Raum zum Grübeln lässt. Es werden sehr viele Probleme angesprochen und gezeigt, dass das Leben nicht immer perfekt ist, sondern ziemlich schrecklich sein kann.

Besonders brillant finde ich den Bezug zum Titel "Atemnot" und dem Original "Drowning Instinct". Dazu wird auch einiges gesagt, was ich herausragend schön finde.

"Ständig ertrinken Menschen, lautlos, vor unseren Augen." (Seite 348)

"Ich glaube, ich bin schon die ganze Zeit am Ertrinken, aber so leise, dass ich es selbst nicht gemerkt habe." (Seite 244)

Fazit

Auch wenn es verwirrend sein kann und die Charaktere unklar erscheinen, sorgen der besondere Schreibstil sowie die Themen für grüblerische und spannende Lesestunden. Schon dafür, dass es kein gewöhnliches Buch ist, lohnt es sich, zu lesen. Denn was es so interessant macht, ist, dass man wirklich nicht entscheiden kann, wer das Monster und wer der Prinz oder das Opfer ist.

5 Sterne kann ich nicht vergeben, aber vier Sterne hat sich Atemnot verdient!

[Diese Rezension findet ihr auch auf meinem Blog http://golden-paperstories.blogspot.de/2014/08/rezension-atemnot.html ]