Rezension

Spannendes Zeitgemälde Wien 1916

Der Henker von Wien - Gerhard Loibelsberger

Der Henker von Wien
von Gerhard Loibelsberger

Bewertet mit 5 Sternen

„...Tja, das Leben ist eine einzige Freunderlwirtschaft...“

 

Wir schreiben das Jahr 1916. In Wien werden die Lebensmittel knapp. Nur die Schleichhändler machen ein großes Geschäft.Gerade wurde der Ministerpräsident, der Graf Stürgkh, erschossen.

Oberinspektor Nechyba aber hat einen anderen Fall auf den Tisch. Ein Unbekannter, der sich „die Quelle“ nennt, hat einen Lieferanten aufgehängt. Er möchte nach und nach den Schleichhandel (Schwarzhandel) in seine Hand bekommen.

Der Autor hat einen abwechslungsreichen historischen Kriminalroman geschrieben. Das Buch lässt sich flott lesen.

Die Personen werden gut charakterisiert. Oberinspektor Nechyba mag gutes Essen. Im Dienst hat er am liebsten seine Ruhe. Im Delegieren von Aufgaben ist er Weltmeister. Wenn er allerdings selbst ins Geschehen eingreift, wird es gefährlich. Aurelia, seine kluge Frau, ist nicht zu unterschätzen. Sie ist ein begnadete Köchin und sehr lernfähig, was das Organisieren von Lebensmitteln betrifft.

Ausführlich werden die Zeitverhältnisse wiedergegeben. Das Anstellen nach Lebensmitteln gehört zum Alltag. Nur wer Beziehungen hat, bekommt ausreichend Nahrungsmittel. Eine Hand wäscht die andere. Einzige Ausnahme sind die Konsumanstalten der Armee. Die Herren Offiziere brauchen nicht zu darben.

Neben den Opfern und dem Täter steht auch ein junges Mädchen im Mittelpunkt der Handlung. Sie wird von Anatol ,einem Mann, angesprochen. Er versorgt sie mit Nahrung und bestellt sie in ein Cafe. Dort bittet er sie um eine Gefälligkeit. Sie soll nur einen Brief eine Adresse bringen. In ihrer Naivität begreift sie nicht, dass sie sich in eine gefährliche Abhängigkeit begibt.

Neben dem hohen Spannungsbogen und der vielschichtigen Handlung besticht das Buch durch den gut lesbaren Schriftstil. Der Wiener Dialekt lässt sich problemlos lesen. Einige Fußnoten und ein Wortregister im Anhang unterstützen das. Der Schriftstil zeichnet sich durch Detailgenauigkeit aus. Straßen und Gebäude werden genauso exakt beschrieben, wie manche Speisen und das tägliche Allerlei. Kursiv eingeschobene Zeitungsartikel über Gesetze und die politische Situation geben der Geschichte eine zusätzliche Authentizität. Besonders betroffen macht der Artikel einer besorgten Hausfrau. Das Buch durchzieht ein feiner Humor. Ab und an könnte man das schwarzen Humor oder Ironie nennen, so wenn Nechyba über die miserable Versorgungslage und das Unrecht des Schleichhandels nachdenkt, aber selbst vor vollem Teller sitzt, weil ihm dieser oder jener noch einen Gefallen schuldig ist. Darauf bezieht sich auch das obige Zitat. Unterschwellig vermittelt der Autor vor allem in ausgefeilten Dialogen, dass die Kriegsfolgen die ärmeren Schichten weit härter treffen. Kurze Rückblicke auf das Geschehen an der Front von Rückkehrern machen die Grausamkeit des Krieges deutlich. Ein Menschenleben ist nichts mehr wert.

Quellenangaben ergänzen das Buch.

Das Cover mit dem allgegenwärtigen Tod passt zur Handlung.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. In einer fesselnden Handlung wird nicht nur ein Mörder gefunden, sondern auch die Schattenseiten des Krieges auf das Leben in Wien und auf die Moral der Menschen dargestellt.