Rezension

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Sprachbilder und Beziehungsanalysen verpackt als Thriller

zorneskalt - Colette McBeth

zorneskalt
von Colette McBeth

Rachel Walsh, Reporterin eines großen britischen Nachrichtendienstes, muß auf der Pressekonfernz der Polizei vom Verschwinden einer jungen Frau berichten. Vollkommen unvorbereitet trifft sie der Umstand, daß es sich dabei um ihre beste Freundin Clara handelt. Mit dem ersten Schock kämpfend, stellt sie in Gedanken ihre Beziehung zu Clara infrage und muß sich eingestehen, daß diese längst erkaltet, ja von einer tief verwurzelten Rivalität durchsetzt ist. Als Rachels Freund Jonny tot aufgefunden wird, beginnt sie zu begreifen, daß ihr in diesem Fall eine gänzlich andere Rolle zugedacht ist als jene der distanzierten Beobachterin ...

Gleich mit ihrem Debutroman wagt sich die britische Autorin auf stilistisch riskantes Terrain. Anstatt auf die genreübliche auktoriale Erzählperspektive zu vertrauen, ist "Zorneskalt" in Form eines Briefes verfaßt, den die Hauptfigur Rachel an die verschwundene Clara schreibt. In 25 Kapiteln wird dabei zwischen der Gegenwart der Handlung und Rückblenden zu einzelnen Begebenheiten in den Kinder- und Jugendtagen der beiden Frauen gewechselt. Die Erzählung wird somit zur Gänze mit Rachels Worten vorgetragen, womit der Leser einerseits niemals über mehr Wissen als sie verfügen kann und ihr andererseits als einziger Quelle vertrauen muß. Niemand anderes' Sicht verbleibt, um die Geschehnisse einzuschätzen, stets sind es ihre Augen, durch die wahrgenommen wird.

Der zentrale Aspekt des Romans schlechthin ist die Freundschaft zwischen zwei Frauen. Was dabei als (scheinbar) zufällige Begegnung zweier Mädchen in der Schule beginnt, endet als erbitterte Auseinandersetzung zweier von gegenseitiger Rache getriebener Rivalinnen. Die Entwicklung dieser Beziehung wird dabei sorgfältig anhand punktueller Begebenheiten in der gemeinsamen Vergangenheit der beiden ausgeleuchtet, der Leser darf alle Nuancen nachvollziehen. Da wird eine Freundschaft auf spontanem gegenseitigem Verständnis und gemeinsamen Streichen gegründet, da werden gefährliche Geheimnisse geteilt, da wird eine Fassade aufrechterhalten, die langsam zerbröckelt und den Blick auf ein ausgehöhltes Ideal freigibt.

Am Beginn des Romans steht eine verschwundene Frau. In der Ich-Perspektive rollt eine weitere Figur die Beziehung der beiden zueinander auf und offenbart dabei Konflikte, von denen die ursprünglich geschilderte Harmonie sukzessive infrage gestellt wird. Im Verlauf der Handlung gerät die erzählende Figur in den Verdacht, die Verschwundene ermordet zu haben, bevor sie erkennt, daß sie zum Opfer eines raffinierten Racheplans der Verschwundenen geworden ist. Mit einer derartig spannungsgeladenen Geschichte erweist sich Gillian Flynns "Gone Girl" als einer der Spitzentitel des Thrillerjahres 2013. Genauso gut trifft diese Beschreibung jedoch auch auf "Zorneskalt" zu, womit sich die Autorin dem Verdacht aussetzt, (womöglich nicht einmal bewußt) Anleihen bei ihrer Kollegin genommen zu haben. In beiden Fällen werden in Form eines sich still an den Leser anschleichenden Thrillers tiefliegende Emotionen analysiert, die sich als mindestens ebenso gefährlich erweisen wie die in anderen Vertretern des Genres plazierten Messer und Pistolen. Wenn die Konturen der Charaktere noch weniger scharf wirken als in "Gone Girl", die Ereignisse zögerlicher ins Rollen gebracht werden, so ist dies wohl dem Umstand geschuldet, daß es sich bei "Zorneskalt" um ein Debut handelt.

Nichtsdestotrotz beeindruckt Colette McBeth mit einer für die Gattung unerwarteten hohen Dichte an Metaphern. Gerade in den ersten Kapiteln wird dabei kunstvoll von jener schwer zu vermeidenden Statik abgelenkt, die sich aus der Skizzierung der Figurenkonstellation ergibt. So wartet die Ich-Erzählerin in einem Pub darauf, "daß der Alkohol meine Kanten glättet" und wenig später darauf, "daß der Schlaf meine Gedanken löschte". Im Rückblick auf einen Urlaub fühlt sie sich "trunken vom Sonnenschein", in der Sorge um ihrem Freund Jonny wünscht sie sich, am Morgen "würde das Hemd mit Knochen und Muskeln und Sehnen ausgefüllt sein ..." Mit dem Fortschreiten der Handlung sind derartige Perlen jedoch immer seltener gesät, sodaß der Eindruck entsteht, die Autorin habe sich vor der finalen Richtungsentscheidung für den Roman an verbalen Experimenten erfreut.

Ein weiterer Aspekt ist die mit leiser Kritik vorgebrachte Charakterisierung des Nachrichtenbusiness. Wie aus der kurzen Autorenbiographie zu erfahren ist, blickt Colette McBeth auf eine zehnjährige Berufserfahrung bei der BBC zurück, die Berufswahl ihrer Hauptfigur ist insofern ebenfalls nicht verwunderlich. Der Roman setzt damit ein, daß diese über das Verschwinden ihrer besten Freundin berichten muß und findet sich plötzlich selbst im Zentrum der Berichterstattung. Somit wird Rachel von der unbeteiligten Stimme aus dem Off selbst zur Story, erfährt am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, der Medienmaschine als Material zu dienen.

Was ist nun "Zorneskalt?
Ein Thriller mit sensiblen Zwischentönen?
Die Sezierung einer Freundschaft mit Spannungselementen?
Die Handlung selbst verleiht dem Roman nur wenig Distinktives, womit er sich etwa gegenüber "Gone Girl" emanzipieren kann, ist der Mut zu Metaphern, die mit großer sprachlicher Reife in den Text eingewoben werden und ihn so über die Beliebigkeit erheben.