Rezension

Sprachlich und philosophisch immer wieder lesenswert

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins - Milan Kundera

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
von Milan Kundera

Bewertet mit 5 Sternen

regt zum Nachdenken an und erlaubt vielfältige Perspektivenwechsel

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins'. Vor 4 Jahrzehnten, kurz nach seiner Veröffentlichung, las ich den Roman zum ersten Mal. Jetzt, anlässlich Kunderas Tod, nahm ich ihn wieder zur Hand.

Mich reizen existentielle Menschheitsfragen, philosophische Gedanken, z.B. den 'der ewigen Wiederkehr' im Leben, 'ein schweres Gewicht', das auf uns allen lastet. Lebensentscheidungen werden ohne Generalprobe getroffen- was ist richtig, was ist falsch? – es gibt nur ein Leben, keine Vergleichbarkeit. Eingebettet in eine Love-Story zwischen dem Chirurgen Thomas (seit zehn Jahren geschieden, einen Sohn) und Teresa, der Kellnerin. Und da sind da noch Tomas Freundin Sabina, eine russische Malerin, und der Wissenschaftler Franz.

Tomas und Teresa lernen sich in Böhmen kennen. 'Sie hatte Angst vor Tomas, er war zu stark und sie zu schwach(156)'. Tomas ist von 'Frauen besessen', bevorzugt erotische Freundschaften, hat Furcht vor der Verbindlichkeit (Wiederholung?), Teresa leidet unter seinen Affären. Für Tomas hingegen steht sein polygames Leben und seine Liebe zu Teresa in keinem Widerspruch. Teresa ist eifersüchtig. Ihm ist ihre Treue wichtig. So besteht Ungleichheit, ein 'Machtgefälle'.

Ich mag Kunderas poetischen, metaphorischen Sprachstil, seinen Tiefgang, z.B. wie er die Liebe beschreibt: 'Er empfand damals eine unerklärliche Liebe für dieses Mädchen, das er kaum kannte; sie kam ihm vor wie ein Kind, das jemand in ein pechschwarzes Körbchen gelegt und auf dem Fluss ausgesetzt hatte, damit er es am Ufer seines Bettes barg(10)'. Fast wie im Märchen. Um einige metaphorische Stellen zu zitieren: 'Er verspürte Lust, aus seinem Leben herauszutreten, wie man aus seiner Wohnung (Schutz) auf die Straße tritt (92)'; 'Der letzte Faden, der sie mit der Vergangenheit verbunden hatte, war zerrissen (115)'; 'Er befand sich in der Lage eines Schachspielers, der keinen Zug mehr hat, um der Niederlage zu entrinnen (...)(199)' und ''(…), die das Gefühl haben, im Saal ihres Lebens sei das Licht ausgegangen, wenn sie ihr Publikum verlieren(247)'.

Der Titel wird an verschiedenen Romanstellen, vier ?, in die Geschichte verwoben.

Die Thematiken/Gegensätze sind vielfältig: Liebe,Treue vs Verrat, Mensch vs Natur, Tier-/Hundeliebe, Zufall (Tomas lernt Teresa nur aufgrund von sechs Zufällen kennen), Politik, Geschichte, Tschechien-Russland, Meinungsfreiheit, Unterdrückung, Mann vs. Frau, Mutter-Tochter-Beziehung, Emanzipation, Körper vs. Seele, Leben vs. Tod, Wahrheit vs. Lüge, das Besondere, Andersartige um nur einige zu nennen.

Kundera öffnet die Augen, auch auf psychologische Art und Weise (das Einflechten von Träumen)- für vielfältige Perspektiven und Lebenseinstellungen. Er ist ein großer Erzähler, regt zum Nachdenken an und bringt essentielle Dinge punktgenau zur Sprache. Ein Roman, den man getrost immer wieder lesen kann. Er wird in seinen Botschaften stets aktuell, sprachlich wunderschön bleiben.