Rezension

Starke Frauen, die ein neues Leben wagen

Das Lied der Neuen Welt - Pamela Schoenewaldt

Das Lied der Neuen Welt
von Pamela Schoenewaldt

Bewertet mit 4 Sternen

Theresa und ihre Tochter Lucia müssen eines Tages ihre Heimat Neapel fluchtartig verlassen. Wie viele andere Europäer um 1900 suchen sie ihr Glück in Amerika. Zunächst scheint ihnen das Schicksal beiden die ersehnten Chancen zuzuspielen, die sie mutig ergreifen. Doch manche Träume zerplatzen unerwartet wie Seifenblasen. Werden Mutter und Tochter ihren Platz in der neuen Welt finden?

Theresa Esposito dient Hausmädchen in einer neapolitanischen Adelsfamilie. Sie lebt mit ihrer Tochter Lucia im Dienstbotentrakt der Villa. Das Meer vor der Tür, den Vesuv stets vor Augen. Mutter und Tochter haben ein sehr enges Verhältnis, obwohl Theresa mit 14 Jahren durch eine Vergewaltigung schwanger wurde. Der Herr des Hauses ist launenhaft und grausam, doch die Gräfin hält schützend die Hand über das Mutter-Tochter-Gespann. Lucia, mittlerweile ein Teenager, lernte sogar schreiben und lesen. Nach einem schrecklichen Vorfall mit dem Grafen müssen Theresa und Lucia Neapel, ihre Heimat, verlassen. Finanziell von der Gräfin unterstützt, besteigen sie ein Schiff nach Amerika, in der Tasche eine Adresse in Cleveland, an die sie sich wenden können.

In der neuen Welt angekommen, ändern sie als Erstes ihren Namen in D'Angelo und sind fest entschlossen ein neues Leben zu beginnen. Lucia beherrscht schnell die englische Sprache. Sie ergreift die Möglichkeit zur Highschool zu gehen und diese, als eine der wenigen Auswanderer, erfolgreich abzuschließen. Theresa, die eine wundervolle Singstimme hat, bekommt ein Engagement im Varieté. Zunächst scheinen sich all ihre Träume von einem neuen Leben zu erfüllen, doch Theresa verfällt immer häufiger Stimmungsschwankungen und Wahnvorstellungen. Lucia übernimmt die Verantwortung für ihre labile Mutter und gibt ihren Traum vom College auf. Stattdessen engagiert sich die junge Frau für die Gewerkschaft und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in den Textilfabriken. Lucia gibt die Hoffnung, auf Heilung ihrer Mutter nicht auf. Sie glaubt fest an ihre Zukunft und kämpft für ihren Platz in der Welt.

Lucia ist eine starke Protagonistin, welche, trotz Zweifel und Rückschläge, nie aufgibt. Im Laufe des Romans durchläuft sie eine Wandlung. Als sie aus ihrer geregelten, kleinen Dienstbotenwelt herausgerissen wird, erkennt sie schnell die Chance, die ihr das Schicksal bietet. Nämlich die Chance auf Bildung. Lucia will mehr vom Leben, als eine Fabrikarbeiterin zu sein oder zu heiraten. Sie träumt vom College, obwohl sie keinerlei finanzielle Mittel besitzt und es als Einwanderin sehr schwer haben wird. Lucia nutzt ihre Talente, um ihren Weg zu finden. Von Rückschlägen lässt sie sich nicht unterkriegen. Sie übernimmt die Verantwortung für ihre geisteskranke Mutter, in einer Zeit, in der das für eine junge, alleinstehende Frau sicher nicht selbstverständlich ist.

Der Roman handelt von zwei Frauen. Die eine zerbricht am neuen Leben, die andere kämpft dafür. Als Leser erfährt man viele Details der damaligen Arbeitsbedingungen für Einwanderer. Teilweise erschreckend ist auch der ausgrenzende und feindliche Umgang der unterschiedlichen Einwanderer untereinander und der „alteingesessenen“ Amerikanern. Auch die Behandlungsmethoden für geistig erkrankten Menschen zu der Zeit stimmen nachdenklich. Pamela Schoenewaldt hat einen lesenswerten Roman erschaffen, der ohne Schönmalerei vom Traum eines neuen Lebens in der neuen Welt erzählt.