Rezension

Theater im Warschauer Ghetto

Fräulein Esthers letzte Vorstellung - Adam Jaromir

Fräulein Esthers letzte Vorstellung
von Adam Jaromir

13. Mai 1942. Janusz Korczak sitzt nachts im Waisenhaus und schreibt. Schon vor anderthalb Jahren wurden er, 200 Kinder und die Betreuer aus ihrem Haus getrieben und befinden sich nun mitten im Ghetto. Tag für Tag ist er auf der Suche nach dem Nötigsten: Brot, Kleidung, Medizin. Die Betreuer versuchen, den Alltag mit den Kindern so normal wie möglich zu gestalten; es gibt Schulunterricht, Essensausgabe, jeden Monat Messen und Wiegen. Doch die Kinder dürfen das Haus nicht verlassen, denn wenn sie einer Razziastreife in die Hände fallen, werden sie abtransportiert. In diesem trüben Leben brauchen sie Höhepunkte, Hoffnung und etwas, auf das man sich freuen kann. Und so beginnt Fräulein Esther, mit ihnen ein Theaterstück einzuüben: "Das Postamt'" von Rabindranath Tagore. Rollen werden verteilt, Texte gelernt, Musik und ein Tanz eingeübt - und die Vorstellung am 18. Juli beflügelt die Kinder. Drei Wochen später wird das Waisenhaus aufgelöst, alle Kinder und Erwachsenen werden nach Treblinka abtransportiert. 

Die Geschichte von Korczak und seinen Waisen ist bekannt. Hier wird sie aus zwei Perspektiven erzählt: Korczak selbst kommt zu Wort (und hier nutzen die Autoren seine eigenen Texte), und die andere Perspektive bietet ein Kind, die zwölfjährige Genia. Deren Worte sind natürlich fiktiv, doch sie sind glaubwürdig: Genia kümmert sich um jüngere Kinder, freut sich über die Blume und wartet auf die Blüten, und sie geht ganz darin auf, dass sie für das Theaterstück einen Tanz einstudieren darf. Vielleicht wird ja die Leiterin einer Tanzschule auf sie aufmerksam? Und schön ist auch, dass sie gemeinsam mit Abrascha auf der Bühne stehen darf, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Die Gedanken und Gefühle des Mädchens sind uns vertraut - auch wenn die Lebensumstände des Kindes für uns fremd und unvorstellbar sind, ist Genia uns nah. So kann sich auch ein junger Leser mit ihr identifizieren.

Das Buch ist reich illustriert. Die Bilder sind in dunklen Tönen gehalten: Braun, beige, grau, schwarz. Das spiegelt die farblose Atmosphäre wider. Das vorletzte Blatt zeigt die leeren Betten, das letzte nur das Kalenderblatt mit dem Datum des Abtransportes. Dass Korczak den Kindern mit der grünen Fahne von "König Macius" voranging, wird nicht gezeigt; auch das Todeslager wird ausgespart. Wenn Kinder nach der Weiterführung der Geschichte fragen, kann der Erwachsene ihnen vorsichtig, je nach ihrer Belastbarkeit, weiteres erzählen. Ein erwachsener Begleiter für dieses Buch ist angebracht; Kinder sollten damit nicht allein gelassen werden.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 in der Sparte "Sachbuch".