Rezension

Tiefgründiger und emotionaler als erwartet, aber Dacre war mir zu kindlich!

I kissed a boy - Dacre -

I kissed a boy - Dacre
von Lisa F. Olsen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Um dieses Buch bin ich lange herumgeschlichen. Immer wieder wurde es mir auf Amazon empfohlen, aber bei "Stiefgeschwister"-Geschichten habe ich grundsätzlich immer eine ablehnende Haltung. Das Trope ist mir einfach zu oft durchgekaut worden, sodass ich mit der Zeit eine Abneigung dagegen entwickelt habe. Immer ist es der abweisende, mysteriöse Stiefbruder und der naive, unschuldige Gegenpart, für den der Stiefbruder schließlich seine "Bad Boy"/"Playboy"-Haltung aufgibt. Hier ist es auch nicht anders. Man bekommt genau das.

Ich habe dem Buch eine Chance gegeben, weil ich beim Kochen ein Hörbuch hören wollte, auf das ich mich nicht zu sehr konzentrieren musste. Also ist meine Wahl auf dieses Buch gefallen - und irgendwie hat es mich immer mehr gefesselt, sodass ich mir nach dem Kochen dann auch das eBook zugelegt und dieses gelesen habe. Es war überraschenderweise wirklich ganz gut, fesselnd und spannend, sodass ein Lesesog entstanden ist. Trotzdem habe ich einige Kritikpunkte.

Entgegen meiner Erwartung betreffen diese Kritikpunkte aber nicht Cap, von dem ich so viel Negatives in anderen Rezensionen gelesen habe. Ich habe das Gefühl, keiner mag ihn, obwohl das in solchen Geschichten eigentlich immer ganz anders ist. Der Bad Boy wird doch eigentlich immer gemocht - warum Cap nicht? Ich verstehe das tatsächlich nicht, denn auch wenn er immer wieder abweisend und zum Teil auch verletzend auftritt, zeigt er sich gegenüber Dacre auch von einer ganz anderen, einer unsicheren, verletzlichen und liebevollen Seite. Es wird deutlich gemacht, dass hinter seinem kalten Auftreten Gründe stecken, von denen wir nur noch nicht wissen (auch nicht nach diesem ersten Band). Oder zumindest können wir es nur erahnen. Das hat mir aber gereicht, um ihn mögen zu können. Natürlich verhält er sich nicht immer korrekt, vor allem gegen Ende ist sein Verhalten egoistisch, aber es sickert deutlich durch die Seiten, dass er das nicht tut, weil er einfach so ist. Sondern weil er Angst hat. Weil das ein Schutzmechanismus zu sein scheint.

An Dacre dagegen, der in den Rezensionen sehr gut wegkommt, habe ich mich teilweise gestört. Meine Loyalität lag zwar durchgehend bei ihm und ich habe mit ihm mitgefühlt, trotzdem ist er es, der mich die Geschichte nicht ganz so sehr hat genießen lassen, wie ich es gerne getan hätte. Er kommt mir nämlich viel zu jung vor. Klar, er ist auch erst 17, aber er kam mir noch jünger vor. Was wiederum super problematisch ist, weil Cap 23 ist und auch so wirkt. Der Altersunterschied hat mich sehr gestört, weil ich ihn so sehr gespürt habe. Nicht nur, weil Dacre durch seine Selbstzweifel immer wieder deutlich macht, dass er äußerlich viel jünger wirkt als Cap und seine Freunde, sondern auch von seinem Verhalten und seinen Gedanken her. Er ist sehr naiv, sehr bedürftig und wirkte stets wie der jüngere (Stief-)Bruder von Cap und seinen Freunden, vor allem von Camille und Sara. Dass Letztere anfangs sogar romantische Annäherungsversuche ihm gegenüber unternimmt, hat da für mich auch nicht gepasst. Ich hab's nicht gefühlt, hatte ein komplett anderes Bild von Dacre, als es die Autorin uns wohl vermitteln wollte.

Aufgrund dessen war ich der Liebesgeschichte gegenüber zwiegespalten. Einerseits wollte es absolut nicht in meinen Kopf (und in Dacres), warum sich Cap auf einmal für ihn auf romantische (und sexuelle) Weise interessiert, weil er so viel unreifer wirkte als Cap. Auf der anderen Seite waren ihre Szenen, nachdem Cap ihn nicht mehr so gemein behandelt, süß und schön. Ich habe wirklich gespürt, dass da tiefere Gefühle zwischen ihnen sind (auf beiden Seiten), auch wenn ich es nicht verstanden habe. Deshalb konnte ich mich dann doch irgendwie für die Geschichte erwärmen, auch wenn da immer ein komischer Beigeschmack blieb.

Das Ende hat mich nicht überrascht, weil die Triggerwarnungen im Klappentext alles vorwegnehmen (sollten vielleicht nur hinten im Buch aufgeführt sein, damit man sie nur lesen kann, wenn man denkt, betroffen zu sein), was ich etwas schade fand, denn ich denke, das könnte einen ziemlich schocken, wenn man nicht vorbereitet ist. Es war natürlich trotzdem beklemmend. Und bringt ganz neue Aspekte in Dacres und Caps Geschichte.

Deshalb bin ich nun sehr gespannt auf den nächsten Band, der aus Caps Sicht geschrieben ist. Endlich. Ich bin neugierig, was denn nun alles hinter seinem Verhalten steckt, was er denkt, was er fühlt, weil wir in Band 1 da so oft im Dunkeln bleiben. Die Triggerwarnungen deuten da natürlich wieder einiges an und lassen erahnen, dass Band 2 keine leichte Kost wird, aber ich verspüre Vorfreude. Und die Hoffnung, dass Dacre nun etwas erwachsener dargestellt wird, immerhin ist etwas Zeit vergangen.

Fazit

Ein spannender Liebesroman mit einem interessanten Bad Boy-Gegenpart, aber einem etwas zu kindlichen Protagonisten, der meine Euphorie für die Liebesgeschichte etwas gedämpft hat. 3,5 Sterne gibt es daher von mir!