Rezension

Über gelebtes Querdenkertum

Die Töchter des Bärenjägers -

Die Töchter des Bärenjägers
von Anneli Jordahl

Bewertet mit 4 Sternen

An dieses Buch bin ich mit falschen Erwartungen herangegangen. Ich habe mit einer Geschichte über Aussteigerinnen gerechnet, das karge Leben in der Wildnis, Zusammenhalt unter Schwestern, ein bisschen entbehrungsreiches Survival mit Lagerfeuerromantik und von dieser Erwartung sollte man sich direkt verabschieden.

Hier geht es um sieben wilde, wenn nicht gar verwilderte, Mädchen, die sich nach dem Tod ihrer Eltern zurechtfinden müssen. Die Jüngste ist 12 und die Älteste 20. Von ihrem Vater haben sie gelernt, wie man jagt, dass man selbstständig sein muss, Behörden nicht trauen kann, Schule überflüssig ist, Ärzte nur Geld wollen, eine ganze schräge Querdenkeragenda. Ihre Mutter hat das mit religiösem Fanatismus angereichert und mit Prügeln untermauert.

Die Mädchen sind ungehobelt, rauchen, saufen, prügeln sich brutal. Die Älteste will die Führung übernehmen und den vermeintlichen Willen des Vaters gnadenlos durchsetzen. Wer nicht spurt, verliert ein paar Zähne.

Das ist sehr befremdlich und man fragt sich beim Lesen schon, wie eine Autorin auf solch eine Idee kommt. Ist es ein wertvoller Beitrag zur Emanzipation, wenn man Mädchen handeln lässt wie brutale, rüpelhafte Männer?

Mit ein klein wenig Recherche findet sich dafür tatsächlich eine Erklärung. Die Autorin hat sich von einem finnischen Klassiker inspirieren lassen. Sie hat Aleksis Kivis »Sieben Brüder« aus dem Jahr 1870 in die Gegenwart verlegt und Schwestern agieren lassen. Ich kenne dieses Buch nicht, aber sie scheint sich sehr nah an der Vorlage zu bewegen. Es gibt sogar Parallelen bei den Namen der Brüder und Schwestern.

Also, dieses Buch ist originell, aber auch befremdlich, fesselnd, brutal und blutig, berührend aber auch bisweilen obszön. Für mich ist es weniger ein Buch über „das ungezähmte Leben in der Wildnis“, als eins über gelebtes Querdenkertum, die Abkehr von zivilisatorischen Normen und Gesetzen.

Wahrscheinlich hat man noch sehr viel mehr davon, wenn man »Sieben Brüder« kennt, aber auch so ist es eine aufregende Geschichte und eine eindringliche Lektüre.