Rezension

Ungewöhnlicher Thriller aus der Sicht des Serienmörders

Und Rache sollst du nehmen - Craig Robertson

Und Rache sollst du nehmen
von Craig Robertson

Was geht in einem Serienkiller vor? Diese Frage ist das treibende Element in Craig Robertsons unheimlichen Thriller “Und Rache sollst du nehmen”. Der schottische Autor, der auf eine langjährige und sehr bewegende Karriere als Journalist zurückblicken kann, präsentiert hier seinen ersten Roman, dem es direkt gelingt, einen neuen Ansatz im Thriller-Genre voranzutreiben.

Die Polizei von Glasgow ist ratlos. Eine Reihe von bestialischen Morden hält die Stadt in Atem. Die Ermittlungen laufen jedoch nur schleppend, denn die Opfer sind scheinbar nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden, sie haben nichts gemeinsam. Doch der Killer verfolgt einen genau ausgeklügelten Plan… Diese kurze Zusammenfassung des Klappentextes ist ein Beispiel dafür, wie man Leser auf eine falsche Fährte locken kann und sollte daher ganz schnell wieder vergessen werden. Der Heyne Verlag suggeriert, man hätte es hier mit einem Serienkiller-Plot zu tun, der auf einen klassischen Ermittlungsthriller hinausläuft. Genau das ist „Und Rache sollst du nehmen“ aber nicht.

Der Roman ist komplett aus der Sicht des Mörders erzählt. Seine Gedanken, Motivationen, Sorgen, Ängste und letztendlich seine Sicht auf die Opfer und die Morde selbst, sind die entscheidenden Faktoren in diesem außergewöhnlichen Thriller. Die Ich-Perspektive ist dabei faszinierend und verstörend zugleich. Auf der einen Seite ist es schlichtweg brillant, wie Craig Robertson in die Seele eines Serienkillers vordringt, ihm Tiefe und Persönlichkeit gibt. Er ist kein irrer Psychopath, das wird schnell klar. Auf der anderen Seite führt diese Erzählweise unbewusst dazu, dass man sich mit dem Protagonisten zu identifizieren versucht und dabei stellenweise aus den Augen verliert, dass man in der Psyche eines brutalen Serienmörders gefangen ist. Ein Mörder, der Menschenleben zudem auf sehr kreative und fast schon anerkennungswürdige Art und Weise auslöscht. Dieser „Konflikt“ verursacht beim Lesen ein unglaublich beklemmendes Gefühl und erzeugt eine ganz andere Gänsehaut als andere Thriller, die sich mehr mit der Jagd nach dem Mörder beschäftigen.

Von der Arbeit der Polizei erfährt man hier übrigens so gut wie gar nichts. Lediglich kleine Auszüge aus Zeitungsartikeln, die ab und an zwischen den Kapiteln platziert werden, klären über den Stand der Ermittlungen auf und erinnern daran, dass neben der in sich stimmigen Gedankenwelt des Killers auch noch eine ängstliche Öffentlichkeit existiert. Eine Öffentlichkeit, zu der man sich als Leser eigentlich dazuzählt, bis man erneut zum stillen Komplizen wird, weil ein neues Opfer ausgesucht werden muss. Was den Killer nun tatsächlich antreibt und worauf das Ganze gegen Ende hinausläuft, möchte ich natürlich nicht verraten. Doch der Abstieg in die Gedanken des ungewöhnlichen Protagonisten lohnt sich. Wenn man sich traut.

Craig Robertson schreibt flüssig und verständlich, was auch in der deutschen Übersetzung sehr gut zur Geltung kommt. Zu der tollen Geschichte ein zusätzlicher Pluspunkt. Insgesamt ist „Und Rache sollst du nehmen“ ein schöner Geheimtipp (nicht nur) für Thriller-Fans, die das Genre mal aus einer ganz anderen Perspektive entdecken möchten.