Rezension

Untypischer, aber sehr lesenswerter Pratchett-Roman

Eine Insel - Terry Pratchett

Eine Insel
von Terry Pratchett

Bewertet mit 5 Sternen

Durch eine riesige Welle werden sämtliche Bewohner von Maus Heimatinsel getötet, Mau selbst überlebt nur, weil er sich auf einer anderen Insel aufhielt. Durch die selbe Welle wird das Schiff „Sweet Judy“ auf der Insel angespült, auch auf ihr gibt es nur eine Überlebende: Ermintrude Fanshaw, eine junge englische Adelige. Nach und nach landen Überlebende auf der Insel, alle müssen versuchen, mit der Katastrophe fertig zu werden und ihr Leben weiter zu leben.

Ein ungewohnt ernster Roman Terry Pratchetts, dem selbst eine persönliche Katastrophe wiederfuhr, als bei ihm 2007 Alzheimer diagnostiziert wurde. „Eine Insel“ wurde im Original 2008 veröffentlicht, ich habe mich beim Lesen mehrmals gefragt, ob der Autor hier auch seine eigene Trauer verarbeitet.

Vor allem Mau, der alles verloren hat, muss neben dem Überleben auch viel Trauerarbeit leisten. Der Roman nimmt das sehr ernst, bietet aber auch Hoffnung und macht Mut. Mau meistert sein Leben mit Einfallsreichtum, Nichtaufgeben, Mut, Verantwortungsbewusstsein (auch für andere), gleichzeitig stellt er auch manche überkommene Traditionen in Frage. Hier hat mich der Roman auch immer wieder an die Tiffany-Weh-Romane erinnert, die immer ernster wurden und vor allem auch zunehmend schwierigere Themen anpackten.

Trotz all der ernsten Töne gibt es auch humorvolle Passagen, vor allem rund um Ermintrude, die sich nun Daphne nennt, denn dieser Name hat ihr schon immer besser gefallen und auf der Insel kennt niemand ihren richtigen Namen. Sie, die viktorianisch erzogen wurde, muss auf der Insel ihre ganze Erziehung in Frage stellen. Allerdings war sie schon immer sehr wissensdurstig, was in ihrer Kindheit von ihrem Vater unterstützt wurde, so dass es ihr letztlich nicht wirklich schwer fällt. Trotzdem gibt es zwischen ihr und Mau einige kulturelle Missverständnisse, die einen schmunzeln lassen.

Viktorianische Erziehung? Spielt der Roman etwa in der realen Welt? Ein kurzer Blick auf die abgedruckte Weltkarte lässt das zunächst vermuten, ein zweiter dann nicht mehr: „Wiedervereinigte Staaten“? „Großer Südlicher Peleagischer Ozean“? „Hinter- und Vorderaustralien“? Ganz offensichtlich befinden wir uns in einem Paralleluniversum, das aber dem unseren sehr ähnlich ist, Vieles kommt einem sehr bekannt vor.

Pratchett findet sich ausgesprochen gut in die Gefühlswelt seiner jungen Protagonisten ein, aus deren Perspektive der Roman fast durchgehend erzählt wird. Besonders gut gelungen sind ihm Maus Gefühle, als er nach Hause kommt und das Ausmaß der Katastrophe erkennt, sich aber (noch) nicht seiner Trauer hingeben kann, da er sich erst noch um die Toten kümmern muss.

Das Buch ist äußerst liebevoll gestaltet, neben der schon erwähnten Weltkarte (die übrigens hinten auf dem Kopf steht, was erst durch die Lektüre des Romans verständlich wird …), und einer Karte der Insel, gibt es zu jedem Kapitel eine passende Illustration, und auch das Cover passt sehr gut zum Roman. Terry Pratchett liefert ein Nachwort und natürlich gibt es auch (wenn auch nicht ganz im üblichen Maß) seine typischen Fußnoten. Das letzte Kapitel blickt, von der Erzählung aus gesehen, in die Zukunft und beantwortet letzte offene Fragen.

Ein sehr gelungener Roman für Jugendliche und Erwachsene, der zum Nachdenken anregt und Mut macht. Ich wünsche dem Roman viele Leser und empfehle ihn uneingeschränkt. Für Terry-Pratchett-Fans, die vorwiegend seine Scheibenwelt-Romane lesen, dürfte der Roman zunächst etwas ungewohnt sein, doch, wer dranbleibt, wird auch hier den Autor wiederfinden.