Rezension

Vergangenheitsbewältigung

Die uns lieben
von Jenna Blum

Bewertet mit 2.5 Sternen

Was bedeutet es, den bedrohlichen Bedingungen einer Diktatur ausgesetzt zu sein und täglich Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das eigene Leben abhängen kann? Wie weit würde man gehen, um sich selbst und seine Liebsten zu retten? – Trudy Swenson, Professorin am Historischen Institut in Minneapolis, soll im Auftrag des Zentrums für Holocauststudien deutsche Zeitzeugen zu deren Alltag im Dritten Reich befragen. Besonders will sie dabei die Rolle der deutschen Frauen beleuchten: Waren die Frauen, die sich dem Regime offensichtlich blind fügten, wirklich alle Täterinnen? Konnte es nicht vielleicht auch sein, dass manche Frauen gegen ihre Überzeugungen handeln mussten, um sich selbst und das Leben anderer zu schützen? Trudys Faszination für dieses Projekt und auch ihre Fragestellung kommen nicht von ungefähr. Sie erhofft sich so auch das jahrzehntelange Schweigen ihrer Mutter Anna zu verstehen. Denn Trudys Mutter ist Deutsche und hat bis zum Endes des Zweiten Weltkriegs mit der kleinen Trudy in Weimar gelebt. Über die Vergangenheit spricht sie nie, Trudy weiß auch nicht, wer ihr leiblicher Vater ist. Einziges Erinnerungsstück aus jener Zeit ist ein Foto auf dem Anna und ihr kleines Töchterchen Trudy mit einem SS-Offizier zu sehen sind.

Über den Zweiten Weltkrieg und Nazi-Deutschland gibt es ja mittlerweile Romane wie Sand am Meer, trotzdem hat mich „Die uns lieben“ sehr angesprochen – vor allem wegen der Herangehensweise, die für mich mal etwas Neues war. Prinzipiell hätte das Thema auch Potenzial für eine großartige Geschichte gehabt: Es geht um Vergangenheitsbewältigung, Schuld, Verantwortung und  natürlich hauptsächlich die Frage, wie weit man gehen darf, um die eigene Familie vor Unheil zu bewahren. Leider ist Jenna Blum die Umsetzung aber gründlich misslungen. Der Roman spielt inhaltlich auf zwei Zeitebenen. Ein Handlungsstrang ist in den 1990er Jahren angesiedelt und fokussiert sich hauptsächlich auf Trudy: Wir erfahren von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter und begleiten sie bei ihrem Forschungsprojekt. In dieser Gegenwartshandlung bekommt der Leser auch immer wieder Protokolle der Interviews zu lesen, die Trudy mit den Zeitzeugen führt. Diese Interviews sind zwar alle sehr brutal und erschütternd, triefen aber auch nur so von überzeichneten Klischees und kommen daher total unglaubwürdig rüber. Unter den Interviewten ist natürlich vom absoluten Holocaust-Leugner, über den verbitterten Nachfahren ermordeter Juden bis hin zum KZ-Überlebenden alles dabei.

Der zweite Handlungsstrang spielt von 1939 bis 1945 in Weimar und offenbart dem Leser Annas Geschichte. Anna ist zu Beginn 19 Jahre alt und führt den Haushalt ihres jähzornigen Vaters. Ihr Herz schlägt für den ehemaligen Hausarzt der Familie, den Juden Dr. Maximilian Stern. Doch irgendwann holt Anna die Realität ein. Als ein hoher SS-Offizier Interesse an Annag zeigt, lässt sie sich auf ihn ein und setzt sich somit einer Spirale aus Gewalt und Schuld aus. Dieser Handlungsstrang wurde für mich extrem oberflächlich abgehandelt und es hat einfach ganz viel Zwischenmenschliches gefehlt. Was haben sich Anna und Max gegenseitig wirklich bedeutet? Wie hat sich Anna gefühlt, als sie sich an den SS-Offizier verkauft hat? Wie kommt sie mit dieser Abhängigkeit klar, warum versucht sie nicht, ihr zu entkommen? Warum hat sie nie versucht herauszufinden was aus Max geworden ist? Auch das Mutter-Tochter-Verhältnis wurde unglücklich gelöst: Anna hat nach eigener Aussage nur so gehandelt, weil sie Trudy liebt. Das merkt man aber kein einziges Mal. Dafür besteht ein Großteil dieses Handlungsstrangs aus brutalen Sexszenen. Man hat manchmal fast schon das Gefühl, einen Nazi-Porno zu lesen. Das Abhängigkeitsverhältnis zischen Anna und dem Offizier hätte man auch subtiler lösen können.

Dazu kommt noch, dass die ganze Struktur des Romans sehr konstruiert ist. Denn natürlich führt Trudys Forschungsprojekt die beiden Handlungsstränge am Ende zusammen, weil sie zufällig den richtigen Interviewpartner trifft.

Ein paar Pluspunkte gibt es für den Schreibstil, der recht angenehm und flüssig ist. Da kann man es auch verschmerzen, dass die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen oder besondere Hervorhebung in den Text integriert ist. 

Fazit: Innovative Idee, aber schlechte Umsetzung. Für mich eines der schwächeren Bücher über das Dritte Reich.