Rezension

Verwechslungkomödie/Drama mit Tiefgang und französischem Charme

Im ersten Augenblick - Grégoire Delacourt

Im ersten Augenblick
von Grégoire Delacourt

Dieses Buch beginnt wie eine amerikanische Verwechslungskomödie: Er ist ein unglaublich attraktiver Automechaniker und sie eine der schönsten Frauen der Welt, die auf der Flucht vor der Aufmerksamkeit der Welt in seinem Dorf, vor seiner Tür landet. Doch ist das da wirklich die Schauspielerin Scarlett Johannson? Sie sieht genauso aus wie die Hollywoodschönheit, doch schnell kommen Arthur Zweifel…
Der Plot und besonders der charmant-weitschweifige Erzählstil können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Buch weitaus mehr ist, als eine leichte Komödie. Eine bitterböse Satire? Nein, auch das trifft nicht annähernd, welche Themen hier aufgegriffen und behandelt werden. Es ist eine Talfahrt: zugleich komisch, traurig, tragisch und absurd. Die Handlung steuert auf ein großes Finale zu und man ist sich bis kurz vor Schluss nicht sicher, ob es fröhlich oder unglücklich ausgeht. Die Figuren sind einzigartig und zugleich verschwimmen sie, sind austauschbar.
Identität ist das zentrale Motiv, das alles miteinander verbindet. Ähnlich wie “Wörterbuch der Liebe” geht es um die Frage, inwieweit Liebe und Identität miteinander verbunden sind. Hier liegt der Fokus auf dem Äußeren einer Person, das dem einer anderen so sehr gleicht, dass die eigene Persönlichkeit nicht mehr wahrgenommen wird. Jedoch ist die junge, schöne Frau nicht für jeden eindeutig mit Scarlett Johannson verbunden: Arthurs Mutter sieht in ihr Elisabeth Taylor und sein Chef Angelina Jolie. Auch hier gibt es keine klaren Zuordnungen, sondern eher eine Aura von Berühmtheit und Glamour, auf den sich alle Figuren gierig zu stürzen scheinen. Es ist ein interessantes Gedankenexperiment, das der Autor hier durchspielt.
Wie in “Enemy” ist der Doppelgänger zum Scheitern verurteilt, denn das eigene Leben und die Gefühle der anderen lassen sich nicht mehr klar mit der eigenen Person in Verbindung bringen. Liebt Arthur eigentlich Jeanine oder doch Scarlett? Bis zum Ende verschwimmen die Personen, die Vorstellungen und Erwartungen an sie, sodass man am Ende ein wenig ratlos zurückbleibt, weil keine Gewissheit mehr übrig bleibt. Für Arthur scheint es keine deutliche Trennung zwischen Scarlett und Jeanine zu geben, denn der Gegenüber ist zum Teil immer Projektionsfläche für die eigenen Wünsche nach Liebe, Akzeptanz und gegenseitigem Verstehen.

Fazit: Eine intensive Mischung aus humorvollem Erzählstil, einer Verwechslungskomödie und existenziellem Drama. Gewagt doch gelungen. Ein Buch, dass einen mit einer bittersüßen Ahnung zurücklässt, dass eine Liebe ein glitschiger Rettungsanker sein kann.