Rezension

Viele gute Ansätze & eine erfrischende Erzählweise – aber leider nicht so gut wie erwartet!

Daisy Jones & The Six
von Taylor Jenkins Reid

~ „Daisy Jones and The Six“ ist eine erfrischend anders erzählte Geschichte über die Liebe zur Musik, Selbstverwirklichung und den Alltag als Band, deren großes Potential leider nicht vollständig genutzt werden konnte. Meine durch die vielen positiven Rezensionen hohen Erwartungen wurden leider nicht ganz erfüllt. Überzeugen konnten mich die Momente, in denen das Doku-Konzept funktioniert und großen Spaß gemacht hat, die dichte Tour- und Bandatmosphäre, der Humor und die vereinzelten emotionalen Szenen. Zwiegespalten lassen mich die besondere Erzählweise, die Auswahl und Behandlung der Themen, die feministische Analyse und der Spannungsbogen zurück. Enttäuscht war ich von den Figuren und der Tatsache, dass mich das Buch leider nicht so emotional mitreißen konnte wie erhofft. Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht, aber wer schon immer mal am eigenen Leib spüren wollte, wie es ist, in einer Band zu sein, kann sich diesen Traum mit „Daisy Jones and the Six“ zumindest ‚fast‘ erfüllen. ~

Inhalt

Im Mittelpunkt dieses Romans steht die fiktive Rockband „Daisy Jones & The Six“, die in den Siebzigerjahren Berühmtheit erlangte – und sich dann plötzlich aus unbekannten Gründen auflöste. Der Roman begleitet die Mitglieder der Band vor und hinter den Kulissen von ihrem kometenhaften Aufstieg bis zu ihrem unerwarteten Ende. Das Besondere an diesem Buch: Die Geschichte wird fast nur durch Interviews erzählt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum, Perfekt, Präsens  
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive
Kapitellänge: teilweise sehr (!) lang
Tiere im Buch: +/- Es wird Fleisch gegessen und davon gesprochen, Krabben zu fangen, ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Drogensucht, Alkoholismus, Abtreibung, sexualisierte Gewalt, psychische Krankheiten, Vernachlässigung von Kindern;

Warum dieses Buch?

Das Buch hat im englischsprachigen Raum schon sehr viel Lob erhalten. Auch einige begeisterte deutsche LeserInnenstimmen habe ich im Vorfeld gesehen. Zudem ist die Erzählweise wirklich etwas ganz Besonderes!

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

„Zum ersten und einzigen Mal sprechen Mitglieder der Band in diesem Buch über ihre gemeinsame Geschichte.“  E-Book, Position 57

Den Einstieg empfand ich als relativ angenehm. Ich hatte keine Probleme, in die Geschichte zu finden.

Schreibstil (3 Lilien)

Die Idee, diese Geschichte fast ausschließlich in Interviewform zu erzählen – die Sprechenden wechseln alle paar Zeilen –, finde ich erfrischend, kreativ und mutig. Ich mag es sehr, wenn AutorInnen auch einmal experimentieren. Es war sicher nicht einfach, die verschiedenen Gespräche so zusammenzufügen und zu ordnen, dass eine chronologische Geschichte entsteht. Diese Herausforderung hat Taylor Jenkins Reid aber sehr gut gemeistert!

Dennoch konnte mich der Schreibstil nicht auf ganzer Linie überzeugen: Mir fehlte eine gewisse Nähe zu den Figuren, in deren Kopf wir ja nie richtig blicken können. Wir hören nur das, was sie uns erzählen wollen. Außerdem vermisste ich anschauliche Beschreibungen der Schauplätze, der Ereignisse, der Figuren. Teilweise war mir auch der Ton leider viel zu pathetisch und dramatisch.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„‘Ich hatte überhaupt kein Interesse daran, jemandes Muse zu sein.
Ich bin nicht die Muse.
Ich bin der Jemand.‘“ E-Book, Position 208

„Daisy Jones and The Six“ ist eine erfrischend anders erzählte Geschichte über die Liebe zur Musik, Selbstverwirklichung und den Alltag als Band, deren großes Potential leider nicht vollständig genutzt werden konnte. Meine durch die vielen positiven Rezensionen hohen Erwartungen wurden leider nicht ganz erfüllt.

Lange wusste ich beim Lesen nicht genau, was ich vom Buch halten sollte. „Daisy Jones and The Six“ fühlt sich wie eine dieser Musikdokumentationen im Fernsehen an. Dass die Band erfunden ist, geht übrigens nicht aus dem sehr realistisch gehaltenen Text hervor, sondern lässt sich nur durch Nachforschungen herausfinden. In manchen Momenten funktioniert das Doku-Konzept in Buchform richtig gut und macht Spaß, in anderen tut es das leider nicht, weil wichtige Dinge fehlen: die Gestik und Mimik der Interviewten, die visuellen Bilder und (vor allem!) die Musik selbst. Die Liedtexte findet man gesammelt hinten im Buch, anstatt in den entsprechenden Kapiteln. So fühlte sich das Lesen den Lyrics leider am Ende ohne Kontext und die passenden Emotionen dazu relativ trocken und langweilig an.

Klassische Band-Themen wie „Sex, Drugs and Rock‘n’Roll“ stehen im Mittelpunkt (Drogen und Alkohol nehmen tatsächlich sehr viel Platz ein!), aber auch Liebe, Freundschaft, Selbstverwirklichung und persönliche Probleme werden angesprochen. An einigen Stellen geht das Buch in die Tiefe, anderes wird eher oberflächlich abgehandelt. Sehr realitätsnah und interessant fand ich, dass sich die Erinnerungen und Sichtweisen der verschiedenen Personen in manchen Momenten stark voneinander unterscheiden. Das hat mir sehr gut gefallen! Wer den Roman lesen möchte, sollte auf jeden Fall viel Interesse für Musik und ihren Entstehungsprozess mitbringen. Die repetitiven und detaillierten Schilderungen der Aufnahme-Sessions und der Auftritte konnten mich leider nicht immer fesseln.

„Daisy Jones and The Six“ enthält durchaus einige lustige (achtet bitte auf den Scherzkeks Warren!) emotionale und berührende Szenen, aber insgesamt konnte mich die Geschichte leider nicht so emotional mitreißen, wie ich mir das gewünscht hätte. Das Ende mit seiner unerwarteten Wendung fand ich zwar nicht unvergesslich, aber in Ordnung, den Grund hinter der Auflösung der Band hätte ich mir allerdings noch etwas spektakulärer vorgestellt.

„‘Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten will. Aber dann überschreitet man sie doch. […] Du hast eine dicke, fette schwarze Linie gezogen, und jetzt ist sie ein bisschen grauer geworden. Jedes Mal, wenn du sie überschreitest, wird sie noch ein bisschen heller und heller, bis du dich eines Tages umsiehst und denkst, war hier mal eine Linie?‘“ E-Book, Position 910

Figuren (3 Lilien)

„‘Wir lieben schöne, kaputte Menschen. Und kaputter oder im klassischen Sinne schöner als Daisy Jones geht es kaum.‘“ E-Book, Position 87

Nach den begeisterten Rezensionen habe ich mich auf großartige, unvergessliche Figuren eingestellt, die einem ans Herz wachsen. Bekommen habe ich austauschbare Charaktere, die mich leider nicht für sich einnehmen oder berühren konnten, obwohl einige von ihnen eigentlich gut ausgearbeitet waren. Viele von ihnen fand ich unerträglich egozentrisch und unsympathisch. Die meisten Probleme hatte ich mit Billy, der mich teilweise wirklich genervt hat. Lediglich die coole Karen und die selbstbewusste Daisy mochte ich. Vielleicht lag es auch an der Erzählweise, dass mich die Figuren nicht erreichen konnten – ich finde es jedenfalls sehr schade!

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (5 Lilien)

Mit dem Spannungsbogen bin ich nicht ganz zufrieden. Das Buch war zwar zu keinem Zeitpunkt langweilig, aber durch die vielen Wiederholungen plätschert die Geschichte oft ohne Höhepunkte dahin. Hätten mich die Figuren emotional erreicht, hätte ich mit ihnen auf dem Weg zum Gipfel wahrscheinlich auf einem ganz anderen Level mitgefiebert. Meine Kritikpunkte hängen also alle eng zusammen. Kürzere Kapitel hätten außerdem bestimmt mehr Tempo in die Geschichte gebracht.

Außerordentlich gut gefallen hat mir hingegen die dichte Tour- und Bandatmosphäre. In ihrem Buch fängt die Autorin wunderbar die leidenschaftlichen Streits, die erwachenden Gefühle füreinander und emotionale Dramen ein und lässt uns viele Schlüsselmomente hautnah miterleben: das langwierige Schreiben der Songs, das fordernde Aufnehmen der Lieder, das Spielen vor dem jubelnden Publikum.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Zicke

Ganz zufrieden lässt mich eine feministische Analyse dieses Romans nicht zurück. Das Buch enthält zwar einige feministische Szenen und Zitate, besteht den Bechdel-Test, spricht Sexismus und Ungerechtigkeiten an und thematisiert Abtreibung. Doch in vielen Momenten werden die Frauen von den Bandmitgliedern sexualisiert oder auf das Äußere reduziert. Auch Camila, die zwar eine starke, durchsetzungsstarke Frau ist, lässt sich von Billy aufgrund der Kinder viel zu viel bieten (sie wird von ihm mehrmals betrogen), kümmert sich fast dauernd alleine um Nachwuchs und hat keine andere Aufgabe, als ihm „den Rücken freizuhalten“, während er mit der Band tourt. Eigene Karriereziele oder Wünsche abseits des Lebens als Ehefrau und Mutter scheint sie nicht zu haben, was ich traurig finde. Auch die Reaktion eines Mannes auf die Abtreibung seiner Freundin war nicht gerade angemessen, sondern sehr übergriffig und respektlos.

Mein Fazit

„Daisy Jones and The Six“ ist eine erfrischend anders erzählte Geschichte über die Liebe zur Musik, Selbstverwirklichung und den Alltag als Band, deren großes Potential leider nicht vollständig genutzt werden konnte. Meine durch die vielen positiven Rezensionen hohen Erwartungen wurden leider nicht ganz erfüllt. Überzeugen konnten mich die Momente, in denen das Doku-Konzept funktioniert und großen Spaß gemacht hat, die dichte Tour- und Bandatmosphäre, der Humor und die vereinzelten emotionalen Szenen. Zwiegespalten lassen mich die besondere Erzählweise, die Auswahl und Behandlung der Themen, die feministische Analyse und der Spannungsbogen zurück. Enttäuscht war ich von den Figuren und der Tatsache, dass mich das Buch leider nicht so emotional mitreißen konnte wie erhofft. Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht, aber wer schon immer mal am eigenen Leib spüren wollte, wie es ist, in einer Band zu sein, kann sich diesen Traum mit „Daisy Jones and the Six“ zumindest ‚fast‘ erfüllen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Figuren: 3 Lilien
Spannung: 3 Lilie
Atmosphäre: 5 Lilien  
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!