Rezension

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„Vielleicht habe ich dir nur erfunden“ – der wahrscheinlich treffendste Romantitel, der mir je untergekommen ist.

Vielleicht habe ich dich nur erfunden -

Vielleicht habe ich dich nur erfunden
von Tatjana Scheel

Tiefgründig und oberflächlich, packend und langweilig, anziehend und abstoßend. Dieser Roman ist entweder eine Offenbarung oder eine Zumutung.

Protagonistin Alex steht kurz vor ihrem Abitur. Sie weiß nicht, ob sie diesen Abschluss überhaupt möchte, ob und was sie studieren soll, was sie vom Leben will. Sie träumt von der Liebe und vom Meer, das ist eigentlich alles, was sie interessiert. Beides macht sie möglich, indem sie sich auf eine Beziehung mit einem Mann einlässt, der älter ist, aufdringlich, fordernd und den sie nicht liebt – die perfekte Mischung für eine Katastrophe, die folglich auch nicht lange auf sich warten lässt. Als Alex kaum in Sizilien angekommen die Flucht ergreift und nicht weiß, wohin, ist da plötzlich Sheela. Scheinbar das genaue Gegenteil von Alex: selbstbewusst, bestimmt, durchsetzungsstark. Alex ist sofort fasziniert und ein bisschen verliebt. Doch auch Sheela ist fordernd, nicht sexuell, sondern emotional, und besitzt darüber hinaus einen grausamen Zug. In einem Moment ist sie Alex zugewandt, im nächsten lässt sie sie links liegen. Für Sheela scheint es nur darum zu gehen, dass sie am längeren Hebel sitzt und Alex tut, denkt, sagt, was Sheela will. Und Alex geht mit. Immer wieder, selbst wenn ihr (halb-)bewusst ist, was mit ihr passiert. Sie löst sich von Sheela – oder Sheela löst sich Knall auf Fall von ihr – und versucht daraufhin ihren eigenen Weg zu finden. Doch auch nach Jahren, nach unterschiedlichen Lebensentwürfen, Neuanfängen ist da der Gedanke an Sheela. Sie kann nicht mit ihr abschließen und sucht immer wieder den Kontakt, nur um festzustellen, dass nach allem keiner von beiden sich verändert hat.

„Vielleicht habe ich dich nur erfunden“ ist ein Roman, der sich am Ende wirklich nur mit „speziell“ beschreiben lässt. Die Sprache ist einfach mit einem Hang zur Anklang an Vulgarität, die Figuren sind eher Typen, viele Themen werden angerissen, gestreift und sind doch schon wieder vorbei, bevor man sich als Leser richtig Gedanken dazu machen konnte. Dabei werden ganz fundamentale Themen aufgegriffen … oder angekratzt. Es heißt, in dem Roman wird „über Projektion und Begehren, über Kontrolle und Macht, über Sucht und das Suchen, über die Notwendigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu definieren und auszusprechen, über das Schälen aus der Abhängigkeit und über das Glück, nackt im Wald zu tanzen“ geschrieben – all diese Themen lass sich dort finden, manchmal mehr, manchmal weniger offensichtlich, aber leider mit fehlender Tiefe. Am Ende des Romans fragt man sich zuweilen: Habe ich all diese Dinge wirklich gelesen? Oder habe ich sie nur erfunden?

Etwas wirklich Gutes hat der Roman dennoch zu bieten: Er regt zum Denken über ganz viele sehr wichtige Dinge an. Er zeigt, dass es sich lohnt hinzufallen, alles zu überdenken, über den Haufen zu werden und neu anzufangen. Doch das tut er auf eine Weise, die manchmal etwas Tiefe vermissen lässt, und mit einer unendlich trostlosen Perspektive, für die man als Leser viel Durchhaltevermögen aufbringen muss.

Am Ende bekommt der Roman doch noch 3 von 5 Sternen, weil er doch eine Weile in mir nachgeklungen hat.