Rezension

Vielseitige Kurzgeschichtensammlung, teilweise mit überraschenden Wendungen ​

Die Wahrheit über das Lügen
von Benedict Wells

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt
Dieses Buch enthält eine Sammlung teilweise sehr verschiedener Kurzgeschichten von Wells. Eine ist eine Kurzgeschichte, die Jules, der Protagonist aus „Vom Ende der Einsamkeit“, als Kind verfasst. Ein anderer Text ist eine Szene, die aus besagtem Roman gestrichen wurde, Wells jedoch sehr am Herzen lag. Wieder andere Texte befassen sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen und unausgesprochenen Konflikten. Und dann gibt es noch Geschichten über Kreativität und einige mit fantastischen Elementen.

Meinung
Kurzgeschichten sind für einen Autor stets ein Wagnis, da sie völlig anders funktionieren als ein Roman. Sie müssen in viel weniger Worten dennoch eine große Wirkung entfalten, vergleichsweise kurz und prägnant sein und dennoch berühren, unterhalten oder aufrütteln. Wells selbst bezeichnet dieses Buch als ein literarisches Mixtape, eine bunte Mischung aus Texten, die ihm wichtig waren und die er gerne einmal veröffentlichen wollte. So ist es auch kaum verwunderlich, dass sehr verschiedene Texte dabei herausgekommen sind, die mir unterschiedlich gut gefallen haben.
Mehrere Texte befassen sich mit der Beziehung zweier Menschen, zwischen denen unausgesprochene Dinge stehen. „Die Wanderung“, „Die Fliege“ und „Hunderttausend“ beschreiben jeweils in recht kurzer Zeit die Beziehung von Ehepaaren und Familienangehörigen recht ausführlich, im Falle der ersten beiden Texte sogar geschickt indirekt. Die Konflikte sind recht spannend und werden durch eine gelungene Pointe gelöst oder auch auf die Spitze getrieben. Teilweise wirkt die Handlung jedoch auch ein wenig gezwungen und das Ende unausweichlich. Die Botschaften, die in „Die Wanderung“ und „Hunderttausend“ liegen sind dennoch schön und wichtig. „Die Fliege“ bedient sich zudem einer ungewöhnlichen, gelungenen Metapher.
„Das Franchise“, im alternativen Titel auch die namensgebenden Geschichte „Die Wahrheit über das Lügen“, ist die längste und komplexeste Geschichte des Buches. Sie befasst sich mit der Entstehung des berühmten Star Wars-Franchise und über die wirklich originelle und clever umgesetzte Idee möchte ich noch gar nicht so viel verraten. Wells befasst sich hier auf intelligente Art mit einer spannenden Frage, die sich jede*r Künstler*in sicher schon einmal gestellt hat, sowie mit dem Prozess künstlerischen Schaffens. Und natürlich enthält die Geschichte auch eine Menge nerdiger Fakten über „Star Wars“.
„Die Nacht der Bücher“, der Text, den Jules in „Vom Ende der Einsamkeit“ verfasst, hat mehr etwas von einem Märchen und ist eine eher fröhliche, leichte und süße Geschichte über Literatur.
„Die Entstehung der Angst“ dagegen ergibt mehr oder minder nur im Kontext des Romans Sinn und wirkte auf mich auch sehr abgehackt und aus dem Zusammenhang gerissen, worauf Wells jedoch im Vorwort zum Text bereits hinweist. Ich persönlich hatte, obwohl ich Fan des Romans bin, nicht das Gefühl, dass diese Geschichte für mich relevante neue Informationen enthielt.
Recht persönlich wird es in den Text „Das Grundschulheim“, der sich mit Wells‘ Erfahrung in Internaten befasst. Selbst, wenn man nie in einem Internat oder Heim gewesen ist, kann man sich in den authentischen Beschreibungen kindlicher Gedanken und Gefühle sicherlich wiederfinden. Die Beschreibungen des Heimlebens berühren und man hat das Gefühl, sie nachempfinden zu können.
„Richard“ ist sehr kurz, wirkte auf mich jedoch authentisch und gerade deshalb sehr berührend.
Kleine Probleme hatte ich mit den Texten „Die Muse“ und „Ping Pong“. Beide enthalten spannende Ideen, der eine über Kreativität und Musen, der andere über das Verhalten von Menschen in Extremsituationen. Bei beiden befriedigte mich das Ende jedoch nicht wirklich und ich konnte nicht unbedingt eine Aussage herauslesen, die ich in den anderen Texten finden konnte.

Fazit
„Die Wahrheit über das Lügen“ ist eine vielseitige Kurzgeschichtensammlung über Zwischenmenschliches und künstlerische Kreativität. Einige Geschichten überzeugten mich vollkommen, andere nur halb, doch ich kann die Lektüre dennoch empfehlen.