Rezension

Von der Anmaßung einer Literatursäuberungswelle

Der entmündigte Leser -

Der entmündigte Leser
von Melanie Möller

Bewertet mit 3 Sternen

Es ist schade, dass dieses Sachbuch den gemeinen Leser/Menschen zu wenig abholt und so ganz im fachspezifischen Kauderwelsch bleibt.

Melanie Möller, Professorin für Latinistik an der FU Berlin und wünscht sich „einen leidenschaftlicher Kampf für die Autonomie der Literatur, der diese schützt wie eine bedrohte Minderheit – und zwar kompromisslos. Denn wo kämen wir da hin, wenn jeder seine mehr oder weniger berechtigte Befindlichkeit erwartungsvoll an sie herantrüge?“.

Der Kommentar: 
Die geneigte Leserin ist ganz bei der Vortragenden. Wohl kaum eine andere Nation denunziert und diffamiert die eigene Sprache im In- und Ausland in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst vor woker Kritik so wie die Deutschen es tun. Sie versehen die eigene Sprache mit Warnlabels und mit Triggerwarnungen, so geschiehts auf den Homepages vieler Goetheinstitute weltweit, wenn Tabellen "verdächtiger" Worte aufgestellt werden und man sich quasi im Vornhinein dafür entschuldigt, dass unsere Sprache unsere Sprache ist, denn „die rassistischen Wurzeln vieler deutscher Wörter lägen in der Zeit des Kolonialismus und wirken bis heute“. Natürlich trägt Sprache die Geschichte der Menschheit mit. Das muss sie auch. Soll man die Geschichte rückwirkend glätten?
Tatsächlich ist der Angriff auf die Literatur, auf die Kunst und die Sprache alt. Das macht Melanie Möller klar, „früher“ wurden unliebsame Autoren verbannt oder entsorgt, heute entschärft man sie „nur“. Der Gedanke an das Attentat auf Salman Rushdie sollte jedoch klar machen, wie weit zu gehen auch heute noch Menschen bereit sind, um unliebsame Literatur und ihre Urheber einzuschüchtern. Die woke Ideologie ist nur einen kleinen Schritt von solchen Zuständen entfernt, zur Zeit übt sie Gewalt nur auf psychischer Ebene aus, doch Gewalt bleibt Gewalt.
Dabei bleibt der Spaß an Literatur und ihre von den Autoren gewollte Anstößigkeit auf der Strecke. Humor ist eine zuweilen beißende Angelegenheit, dieses Bissige ist ein Ärgernis für die woke Ideologie. Ihre Angriff gegen die Satiriker unser Tage sind bekannt, ob Oliver Welke, Harald Schmidt, Dieter Nuhr, und viele andere – keiner ist vor rassistischen oder sexistischen Vorwürfen verschont und am liebsten würde man sie ganz zum Schweigen bringen.
Ist Kunst frei und was darf sie? Alles. Die woke Ideologie will dieses „Alles“ nicht hinnehmen und die sprichwörtlich gewordene Axt von Franz Kafka, die das gefrorene Meer in uns aufbrechen soll, stumpf machen. 

Wie die Säuberungs – und Überschreibungswelle heutzutage im Einzelnen funktioniert zeigt Melanie Möller, ganz ihres Faches gerecht,  an literarischen Beispielen (an ollen Kamellen), wobei sie jeweils einen oder mehrere antike Autoren – das ist nun einmal ihr Berufsfeld - einem (oder mehreren) modernen Autoren gegenüberstellt. Dabei geht sie für meinen Geschmack zu tief auf einzelne Werke ein. Das ist zu fachspezifisch und wird den „normalen“ Leser nicht interessieren und nicht erreichen. Denn es ist (leider) langweilig.
Klar wird dennoch, dass die Autorin dafür plädiert, auszuhalten, was die Literatur dem Leser zumuten will und es dem Leser zu überlassen, was er daraus macht. Auf Triggerwarnungen können wir verzichten, eine Sprachkontrolle/Zensur/Polizei braucht es nicht.  Der Leser ist schon groß. Einen Text zu entschärfen, ihn umzuschreiben und glättend zu übersetzen, ist ein Vergehen am Geist der Literatur, ja am Geist der Kunst überhaupt: „Beim Übersetzen sollten Anpassungen an den Zeitgeist unterbleiben.“ So ist es. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. 

Fazit: Leider ist der Text von Melanie Möller reine Fachliteratur und gehört in den einschlägigen Fachjournalen publiziert und diskutiert. Demgemäß ist auch die Sprache fachspezifisch und schwer aufzuschlüsseln. Einige allgemeine Ableitungen und Bemerkungen sind dennoch höchst bemerkenswert. 

Kategorie: Fachbuch. Literatur
Verlag: Galiani Berlin ein Imprint von Kiepenheuer & Witsch, 2024