Rezension

Von einem, der auszog, um nicht Musiker zu werden

Das Paradies liegt hinter mir - Maarten 't Hart

Das Paradies liegt hinter mir
von Maarten 't Hart

Bewertet mit 4 Sternen

Seine Nichteinmaligkeit ist ihm früh bewusst geworden. Nicht weniger als sechs Namensvettern fanden sich allein im engsten Familienkreis, und gleich um die Ecke seines Elternhauses lebte ein Milchkannenlieferant, der ebenfalls Maarten 't Hart hieß. Ausgestattet mit einem dementsprechend schwach ausgeprägten Selbstbewusstsein wuchs Maarten 't Hart, der Schriftsteller, in einer Familie aus Handwerkern, Bauern und Totengräbern auf. Allen Hindernissen zum Trotz setzte sich sein Bildungshunger durch und ermöglichte ihm einen Schulabschluss, ein Studium und eine Karriere als Romancier, die ihm zu Weltruhm verhalf. In seiner erstmals auf Deutsch vorliegenden Autobiografie erzählt er auf charmante, höchst selbstironische Weise von seinen Anfängen als Metzgereigehilfe, als Verhaltensforscher, als Journalist und Autor sowie von seiner alles überstrahlenden Leidenschaft für die Musik. (Verlagsseite) 

Untertitel: Meine frühen Jahre
Eine Ergänzung zu `t Harts autobiographischen Büchern „Ein Schwarm Regenbrachvögel“, in dem er die Erinnerungen an seine Mutter in den Mittelpunkt stellt, und „Gott fährt Fahrrad“, das seinen Vater zum Thema hat. Episodenhaft und thematisch (Bedeutung der Musik, Auseinandersetzung mit dem Glauben, seine verschiedenen „Berufe“, u.a.) rollt er sein Leben auf.

`t Hart ist 60 Jahre alt und hat mit diesem Buch schon das dritte autobiographische verfasst. – Wenn man davon absieht, welche autobiographischen Erfahrungen und Erlebnisse ansonsten noch in seine anderen Werken flossen. –
Langweilig? Keineswegs. Auch nicht für den, der die beiden ersten Romane kennt. Zum einen hat er immer wieder Neues zu erzählen, zum anderen bringt er Aspekte und stellt Personen vor, die bisher nicht erwähnt wurden. Oder richtet sein Augenmerk auf Begebenheiten und Ereignisse, die er bislang nur am Rande gestreift hat.
Dass er in einem streng calvinistisch gläubigen Haus aufwuchs und lange brauchte, um die Zwänge seiner Religion abzulegen, weiß man. Man weiß auch, dass er klassische Musik, vor allem Bach und Mozart liebt und als Kind darunter litt, dass in seinem Elternhaus dafür kein Platz war. 

So widmet er der klassischen Musik einen sehr breiten Raum; wie er sie für sich entdeckt, wie das Kind Maarten sich das Orgelspielen fast autodidaktisch aneignet, wie sie sein Leben bestimmt und welche Komponisten und Werke ihn besonders und immer wieder berühren. Dieses Kapitel („Singet fröhlich Gott“) zieht sich auch für Musikkenner und –liebhaber dahin; es wirkt streckenweise wie eine Aufzählung. 
Da liest man lieber die unterhaltsamen Episoden seiner „Neun Berufe“ und was er als Laufbursche für Bäcker und Metzger erlebte, in Gewächshäusern, als Student, als Forscher und wie er zum Schreiben kam. Und wie er, bis heute passionierter Vielleser, seine Nase seit er lesen lernte, ständig in ein Buch steckte, mehrere Bücher am Tag las.
Oder wie er seine Schulzeit mit unterschiedlichen Lehrern verbrachte und im bangen Hoffen, ob seine Eltern ihm den Besuch des Gymnasiums und später der Universität erlaubten. Bei der Promotion mit 34 Jahren, glaubt er, „Die Hälfte seines Lebens“ mit Schulen, Lernen und wissenschaftlichem Arbeiten durchlaufen zu haben.
Oder warum sein Name, den anscheinend zweihundert andere Niederländer tragen, ihn zum Einzelgänger und Individualisten macht, damit er nicht zu einem „Jedermann“ wird.
(In „“ die jeweiligen Kapitelüberschriften zum Thema.) 

Anders als in den anderen autobiographischen Büchern werden zwei wichtige Themen seiner Kindheit, die Armut und das Alleinsein, hier nur gestreift; vermutlich setzt er sie als bekannt voraus.
Was immer gleich bleibt, in allen Büchern des Autors mehr ist als Kulisse und was doch in jedem Lebensalter neu wahrgenommen wird: Die Landschaft um Maassluis, das Meer und seine Weite, der Hafen und die Deiche überwachsen von Gras, das der Wind niederdrückt. 
Hat 't Hart so viel erlebt, dass sich etliche Bücher füllen lassen? Bis auf seine Arbeit als Schriftsteller unterscheidet sich sein Leben wenig von anderen Kindern seiner Generation in ärmlichen Verhältnissen. Aber er sieht mit anderem Blick zurück als andere. Er entdeckt das, was den Alltag zum Besonderen machte, die Routine zum Ausgefallenen und das Einerlei zum Unwiederbringlichen.