Rezension

Von Schwarzbrennern und archaischen Rollenbildern untergegangener Epochen

Vom Himmel die Sterne -

Vom Himmel die Sterne
von Jeannette Walls

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sallie Kincaids Vater, der Duke, hatte klargestellt, dass Mädchen heiraten und weder das Familienunternehmen leiten  noch Politikerin werden. Sallie, die mutterlos aufwächst, will  alles richtig machen und dem Duke gefallen, indem sie ihren sensiblen jüngeren Bruder Eddie zu dem Kincaid trainiert, den der Vater sich wünscht. Wenn Eddie endlich Dukes Männerbild entspricht, wird hoffentlich ihre Stiefmutter Jane sie so lieben, wie Sallie es erträumt. Doch Sallies Plan scheitert, und wegen ihres schlechten Einflusses auf Eddie wird die Neunjährige zu Tante Faye gegeben. Faye ist so bitterarm, dass sie vom Pensionsgeld für Sallie kaum überleben kann, so dass Tante und Nichte als Wäscherinnen arbeiten. Duke hat sich jahrelang nicht in Hatfield blicken lassen, als er Sallie ebenso überstürzt zurückholt, wie er sie damals fortgeschafft hat. Seine Frau Jane ist an der Grippe gestorben und die inzwischen 18jährige Sallie soll den mutterlosen Eddie aufziehen. Duke muss sich eingestehen, dass in seinem Haushalt alles schieflief, seit er Sallie fortschickte und ihren Kontakt zu Eddie unterband. Frauen sind in Dukes Imperium variable Kapitalposten, die seinen Einfluss zu sichern und Söhne zu gebären haben.

Wie ein orientalischer Großgrundbesitzer herrscht Duke über sein Imperium im Claiborne County, in dem er Mieten als Naturalien (= Whiskey) eintreibt, aber auch für Kranke und in Not geratene Untertanen verantwortlich ist. Sallie wuchs mit seinem Vorbild auf und ergreift sofort Partei für Tante Faye. Sie zeigt deutlich die Qualitäten einer klugen, empathischen Nachfolgerin, die Duke sich wünscht. Doch erst, wenn kein männlicher Erbe mehr lebt, kann in diesem County die älteste Tochter das Familienunternehmen erben. Erst jetzt wird Sallie klar, dass Sheriff Earl und der Verwalter des Ladens auf Dukes Lohnliste stehen und ihm unbedingt loyal dienen. Teile und herrsche, alles eine Frage raffinierter Planung. Sollte sie einmal die neue Chefin  sein, muss sie sich dringend um ein eigenes Netzwerk kümmern. Als Duke überraschend stirbt, entbrennt ein erbitterter Kampf um seine Nachfolge. Duke hat offensichtlich so manisch einen Sohn zu zeugen versucht, dass wie bei den Puppen in der Puppe stets neue Frauen und neue Töchter auftauchen, sobald Sallie meint, endlich den Überblick zu haben. Mehr als um menschliche und kaufmännische Kompetenzen geht es jedoch darum, wovon die Bewohner dieser Ecke Virginias leben sollen, wenn nach den Prohibitionsgesetzen von 1920 kein Alkohol mehr verkauft werden darf.

Mit Sallie Kincaid hat Jeanette Walls eine hinreißende, zeitlose  Heldin geschaffen, die mit dem universellen Nachfolge-Konflikt konfrontiert ist: Warum soll ein ungeeigneter ältester Sohn ein Familienimperium erben, wenn Geschwister offensichtlich qualifizierter für diese Rolle sind. Sallie erzählt die Geschichte ihres Familien-Clans in einer untergehenden Epoche schlicht im Präsens. Sie wirkt dabei berührend glaubwürdig, ohne ihrem jüngeren Ich Einsichten anzudichten, die sie in dem Alter noch nicht haben konnte. Die Familiengeschichte zwischen Nachfolgesuche, Schwarzbrennerei und Whiskyschmuggeln liest sich absolut spannend. Allerdings fand ich Walls Technik, Personen archaisch „von der Klippe zu stürzen", sobald sie nicht mehr benötigt wurden, und ständig neue Figuren aufs Spielbrett zu bringen, auf die Dauer ermüdend. Da die Autorin im Vorwort darauf hinweist, dass ihr Vater in den 40ern und 50ern Alkohol schmuggelte und sie zahlreiche Quellen zu dieser Epoche studierte, können Interessierte sich auf das sorgfältig recherchierte Porträt mutiger Frauen in einer untergegangenen Epoche freuen.