Rezension

Wahrheit hat ihren Preis

Winterrosenzeit - Ricarda Martin

Winterrosenzeit
von Ricarda Martin

Bewertet mit 5 Sternen

60er Jahre. Nach dem Krieg schlug sich Hildegard mit ihrem kleinen Sohn Hans-Peter zu ihrer Cousine in die Schwäbische Alb durch, wo sie bald darauf in dem kleinen Ort den ortsansässigen Bürgermeister und Besitzer der Sägemühle heiratete und fortan ein recht wohlhabendes Auskommen hat. Hans-Peter, der sich mit seinem Stiefvater nie gut verstanden hat, hat keine Erinnerungen mehr an seinen Vater, von dem die Mutter nur erzählte, dass dieser im Krieg gefallen sei. Nun ist er ein junger Student der Rechtswissenschaft und fiebert einem Konzert der Beatles in Blackpool entgegen, für die Reise dorthin hat er wochenlang auf dem Bau gearbeitet. Beim Trampen lernt Hans-Peter die junge Ginny und ihre Clique kennen, die ebenfalls zum Konzert wollen. Zwischen Ginny und Hans-Peter knistert es sofort. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland steht er weiterhin per Brief mit Ginny in Kontakt und plant schon die nächste Reise, um sie endlich wiederzusehen. Doch Ginnys Eltern sind gegenüber Deutschen sehr ablehnend eingestellt, ihr Großvater und ihr Onkel sind im Krieg gefallen, Ginnys Vater Gregory kam als deutscher Flüchtling nach England, voller Blessuren und Folterspuren. Sowohl Ginny als auch H.-P. sehen sich einer gewaltigen Aufgabe gegenüber, die Eltern von ihrer Liebe zu überzeugen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, das Leben der beiden jungen Leute gerät komplett aus den Fugen, denn alles, was sie für die Wahrheit gehalten haben, entpuppt sich als Lüge…

Ricarda Martin hat mit ihrem Buch „Winterrosenzeit“ einen wunderschönen Gesellschaftsroman voller Geheimnisse vorgelegt, die sich erst nach und nach wie Rosenblätter entfalten und die Wahrheit preisgeben. Der Schreibstil ist flüssig und fesselt von der ersten Seite an. Immer im Wechsel wird die Geschichte zwischen Ginny und Hans-Peter erzählt und fügt sich erst am Ende wie ein Puzzle zusammen. Die Landschaftsbeschreibungen, aber auch das Beatles-Konzert sind so lebendig beschrieben, als wäre der Leser live vor Ort und könnte alles mit eigenen Augen sehen und miterleben. Der Spannungsbogen wird gemächlich aufgebaut, steigert sich aber im Verlauf der Handlung immer mehr, hat zum Teil fast sogar kriminalistische Elemente, die Geschichte bleibt bis zum Schluss sehr aufregend. Auch der Hintergrund der Romanhandlung ist sehr interessant gehalten, spiegelt er doch den Zeitgeschmack, die politischen Ansichten und die Entwicklung nach dem Krieg wider. Jeder, der in den 60er Jahren aufgewachsen ist, findet das ein oder andere aus seiner Kindheit und Jugend wieder.

Die Charaktere sind sehr verschieden und vielschichtig angelegt, dadurch wirken sie sehr authentisch und lebendig, der Leser kann sich gut in die einzelnen Protagonisten einfühlen und leidet mit ihnen oder wünscht ihnen die Pest an den Leib. Hans-Peter ist ein sympathischer, ehrlicher junger Mann, der vielseitig interessiert ist und sich voll und ganz seinem Jurastudium widmet. Die Musik der Beatles hat es ihm angetan und tut alles für seinen Traum, diese einmal im Konzert zu erleben. Zu seinem Stiefvater hat er ein schwieriges Verhältnis, denn der hat andere Vorstellungen vom Leben, doch Hans-Peter will seine eigenen Träume verwirklichen. Ginny ist eine liebe junge Frau, die behütet aufwuchs und die Arbeit mit Rosen liebt. Sie hat ein enges Verhältnis zu ihrem Vater, ist beliebt und aufgeweckt, allem Neuen gegenüber offen ohne Vorurteile. Hildegard ist eine unterwürfige Frau, die es jedem recht machen will, sie hat kein Durchsetzungsvermögen und ist auch ihrem Sohn keine große Hilfe bei den Streitigkeiten mit dem Stiefvater. Susanne ist eine enge Freundin von Hans-Peter, sie kennen sich seit der Kindheit, aber sie ist auch rettungslos in ihn verliebt, wovon Hans-Peter gar nichts weiß. Gregory, Ginnys Vater ist ein netter Mann, der ein Geheimnis in sich trägt und sich nur um die Rosen und seine Familie kümmern möchte. Auch die Nebenprotagonisten untermalen nicht unwesentlich mit ihren kleinen Episoden und Geschichten die Handlung, machen sie dadurch auch spannender.

„Winterrosenzeit“ ist ein fesselnder Gesellschafts- und Liebesroman der jüngsten deutschen Nachkriegsgeschichte und unterhält mit einer Vielzahl von Themen, die alle zusammen eine sehr spannende Handlung ergeben. Alle, die Familiengeheimnisse und gut gestrickte Liebesgeschichten lieben, in denen man sich regelrecht fallen lassen kann, werden mit diesem Roman viel Freude und gute Unterhaltung haben. Absolute Leseempfehlung!