Rezension

"Wahrscheinlich der einzige Junge im Reservat, der nicht schießen konnte" (S.309)

Das Haus des Windes - Louise Erdrich

Das Haus des Windes
von Louise Erdrich

Bewertet mit 5 Sternen

das war bzw. ist Joe, der aus vergleichsweise behüteten Verhältnissen stammt und mit seinen Eltern und inmitten seiner Freunde ein ausgesprochen beschauliches Leben führt - bis seiner Mutter ein schlimmes Unglück widerfährt und nichts mehr so ist, wie es war. Die Autorin Louise Erdrich schildert in diesem Roman eine eindringliche Geschichte um Würde, Achtung und Menschlichkeit, um Erbarmen - aber auch um Erbarmungslosigkeit, um Rache, um Vergeltung und Erniedrigung, um das Leid. Wir lernen Joes Familie, aber auch andere Bewohner des Reservats und drumherum kennen, sie alle sind Teil der Entwicklungen, die die Erzählung nimmt. In einer wunderbaren, kraftvollen, wenn auch manchmal sparsamen Sprache lässt Erdrich den Leser eintauchen in die Ereignisse rund um das Rundhaus - so auch der Titel im Original. Einen kleinen Einblick in die Aussagekraft der Autorin gibt die folgende Sequenz, in der Joe über seine Mutter spricht: "Wir hatten beide das Gefühl, dass sie einem Ort der äußersten Einsamkeit entgegenging, von wo sie vielleicht nie mehr zurückkommen würde." (S.58)

Ein kluges, gekonnt geschriebenes Buch, für das die Autorin 2012 den National Book Award erhalten hat und das trotz des eher sachlichen, manchmal fast kargen Stils ein ungeheures Ausmaß an Herzenswärme enthält. Louise Erdrich ist eine wahrhaft große Autorin, der ich noch mannigfaltige Preise wie durchaus auch den Literaturnobelpreis zutraue und vor allem gönne.

Die Autorin versteht sich auf die Sprache zwischen den Zeilen - in ihrem ganz besonderen, klaren Stil vermag sie auf relativ wenig Seiten - weit unter vierhundert sind es - eine eigene Welt zu erschaffen, Botschaften zu senden und das Bedürfnis nach MEHR zu wecken: mehr brillianter, kraftvoller Literatur, mehr spannenden und gut erzählten Themen, mehr wichtigen Botschaften, mehr eindringlichen Zitaten - eben einfach nach mehr Erdrich!

Wobei ich mir fast anmaßend dabei vorkomme, dergestalt über diese großartige Autorin zu urteilen, sie zu bewerten! Wer sie lesen sollte? Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Töchter und Söhne - solche, die am großen Amerika verzweifeln und wenig Hoffnung in sich tragen, aber auch solche, die von den U.S.A lernen wollen! Natürlich nicht alles, um Himmels Willen, bei weitem nicht! Aber Louise Erdrich ist eine Autorin, die uns Wichtiges aufzeigt, die Werte für sich sprechen lässt. Auch die vielen Englisch-Leistungskurse im ganzen Land, die Fakultäten für Anglistik an den Hochschulen, deren Lehrer und Dozenten verzweifelt nach aktueller Lektüre suchen, die die Schüler aufrüttelt, sie packt: Versucht es mal hiermit! Ihr habt zumindest eine Chance!