Rezension

Weinkunde: super - Rezepte: nicht meins

Wein & Gemüse - Manuela Rüther, Sebastian Bordthäuser

Wein & Gemüse
von Manuela Rüther Sebastian Bordthäuser

Geht es euch im Moment auch so? Wenn ihr abends die Möglichkeit habt, draußen zu essen und die warme Sommerluft zu genießen, dann gehört ein Glas Weißwein irgendwie dazu? Ein kühler Chardonnay und Pinot Grigio, Insalata Caprese und gegrillter Fisch auf dem Teller und man kann sich fast vorstellen, man wäre irgendwo im Süden und genieße das süße Leben. La Dolce Vita... Hach. Genau diese Stimmung beschreibt auch Manuela Rüthers und Sebastian Bordthäusers Wein & Gemüse und leitet das Buch mit einem - wie ich finde - sehr treffenden Spruch ein:

"Man findet keine Freunde mit Salat. Man braucht auch Wein ..."

Dieses Buch aus dem Fackelträger Verlag ist aber mehr als ein reines Kochbuch, denn auf fast 240 Seiten finden sich gerade einmal 66 Rezepte. Wein & Gemüse versucht, sich durch sein Konzept von den anderen vegetarischen und veganen Kochbücher, die zurzeit den Mark überschwemmen, abzuheben. Bücher über Gemüse gibt es eigentlich genug, sagen die Autoren. Eigentlich. Denn in keinem anderen der bisher veröffentlichten geht es um die Kombination von Gemüse und Wein, denn diese führe zum "Quell größter Glückseligkeit" (Seite 9).

Rüther und Bordthäuser nehmen uns Leser bei der Hand und führen uns langsam in die Welt des Weins ein. Sie erklären anhand einer sehr treffenden Farbanalogie mit Äpfeln, wie unterschiedlich Weine gefärbt sein und schmecken können. Grün, knackig und frisch wie ein Granny Smith oder süßer wie ein Cox Orange. Als Entscheidungshilfe dient dabei ein sogenanntes Wein-Tacho. Die Ausprägung der Nadel zeigt, ob ein Rot- oder ein Weißwein besser geeignet sind und ob der Wein lieber fruchtig-leicht oder herb oder schwer sein sollte, zudem  gibt es bei der Süße eine Skala von 1 bis 3. Es geht aber nicht nur um den fertigen Wein und dessen Geschmack, sondern auch um die Bedeutung von Pestizid freiem Anbau und der Wichtigkeit des Faktors Zeit. Ja, man könnte sagen, es geht um Wein und Gemüse und um Achtsamkeit. Und spricht nicht auch das für das Dolce-Vita-Lebensgefühl?

Etwas widersprechen muss ich der Aussage, dass Weine unter 10€ mit "Scheiß-Musik" (Seite 16) gleichzusetzen sind (sie werden sogar als "Schweiß-Wein" bezeichnet), denn ich kaufe oft Weine, wenn sie entweder bei HaWesKo im Angebot sind oder generell nur um die 6€  bis 8€ kosten, denn auch da gibt es sehr gute. Nicht alles, was unter 10€ kostet, ist ein 1,99€-Aldi-Billigwein, und Studenten, Azubis und Co sind vermutlich - so geht es jedenfalls mir - nicht bereit, 10€ und mehr für eine Flasche auszugeben. Man muss eben nur wissen, wo man gucken muss.

Jetzt aber weiter im Text. Nach der einleitenden Weinkunde gliedert sich das Buch in Gemüsesorten. Zunächst wird das jeweile Gemüse auf einer Doppelseite samt hübschem Foto vorgestellt (Lateinischer Name, Familienzugehörigkeit, Lebensraum, Geschmack und Kombinationsmöglichkeiten mit Weinen). Danach folgen ein paar Rezepte (bei der Artischocke sind es beispielsweise zwei) mit der dazugehörigen Wein-Empfehlung. Hier wird aber keine spezifischer Wein empfohlen, sondern lediglich die passende Sorte (Also statt etwa Big Buckle Shiraz 2015 steht in der Empfehlung nur Shiraz, welche Flasche man dann nimmt, bleibt einem selbst überlassen). Diese Empfehlung fällt aber sehr auführlich begründet aus und der dazugehörige Wein-Tacho fehlt ebenfalls nicht.

"Zu diesem Gericht eignen sich Weine, die einen nicht zu kräftigen Körper mitbringen, sondern über ihre Jugendlichkeit brillieren: eine gute, belebende Säure ist ein perfekter Partner, um den Bitterstoffen zu begegnen, ohne dass ein stumpfes Mundgefühl entsteht. [...]"
(Seite 21, Artischocken)

Zwischen den Rezepten und der Gemüsekunde gibt es drei kleine Exkurse: Sensorik, Weinbereitung und Beim Gemüsemann. Diese Exkurse sind sehr ausführlich und sehr lehrreich, hier erfährt man alles über die Herstellung von Wein und es geht auch wieder ein bisschen um das Thema Achtsamkeit. Denn beim Entdecken und Erschmecken von Wein gehe es einzig und allein darum, zu sich selbst zu finden und dabei immer wieder aufs Neue den (in diesem Moment vielleicht) perfekten Wein zu entdecken. Beim Weintrinken, -verkosten, und -ausprobieren gibt es kein Richtig oder Falsch, sagen die Autoren, denn "der Weg ist das Ziel".

Bis zu diesem Punkt bin ich eigentlich ein Fan von diesem Buch, abgesehen von der einen oder anderen Aussage vielleicht, der ich nicht zustimme. Aber - und das ist ein großes Aber - ein gutes Kochbuch ist es für mich nicht. Und das betrifft schlicht die Auswahl der Rezepte, weil ich so gut wie nichts aus diesem Buch nachkochen würde. Was hilft mir eine Weinberatung zu Gerichten, die ich nicht kochen und essen möchte? Fenchel-Orangen-Salat mit Fenchelsaat und Oliven (70), Allerlei Bohnen mit Kartoffeln, Limette und Koriander (46), Brunnenkresse-Hirse-Salat mit Johannisbeeeren und Avocado (40), Salzbete-Carpaccio mit Kapuzinerkresse (34), Artischocken mit Tahini-Joghurt und Sesamkrokant (22), Steckrübencreme mit karamellisiertem Apfel (162), Rettich-Kaltschale mit Nüssen und Kefir (155), Fregola mit roh mariniertem Kürbis und Ziegenkäse (126), ... Ach, das ist alles einfach nicht meins, das ist mir zu fancy. Entweder sind Zutaten darin, die ich nicht mag (Ziegenkäse, frischer Koriander, Kefir), gegen die ich allergisch bin (Sesam) oder die ich schlicht nicht kenne und von denen ich auch nicht wüsste, wo ich sie kaufen könnte und ob sie mir dann überhaupt schmecken würden (Tahini, Fregola).

Ich bin wirklich hin und her gerissen. Als Weinkunde finde ich Wein & Gemüse toll, ich habe viel gelernt und freue mich darauf, diesen Sommer noch einige Weißweine auszuprobieren und euch vielleicht zu erzählen, wenn ich einen wahnsinnig guten entdeckt habe. Aber als Kochbuch gefällt es mir gar nicht und ich werde vermutlich nie auch nur ein einziges Rezept nachkochen. Daher muss ich meine Punktzahl wohl oder übel in der Mitte einpendeln.

(c) Books and Biscuit