Rezension

Welche Farbe darf es sein?

Identitti -

Identitti
von Mithu M. Sanyal

Welche Farbe darf es denn bitteschön sein für Sie: Weiß, Schwarz, Beige, oder doch lieber Blau?

"Blau, Blau, Blau" würde die Göttin Kali als Antwort auf diese - auf den ersten Blick abstruse - Frage geben. Worum geht es? Die Haut. Aber natürlich geht es in diesem Roman um so viel mehr als nur die Hautfarbe. Es geht um Identität. Um race, gender und class, welche soziale und politische Konstrukte darstellen. Konstrukte, die zu Realität geworden sind. Und diese vermeintlichen Realitäten stellt Saraswati, eine begnadete Professorin für Postkoloniale Studien, nun in Frage, nämlich indem im Rahmen eines riesigen Skandals herauskommt, dass diese Person of Colour (PoC) eigentlich Weiß ist. Eine Kategorie, die die Europäer erst im Siebzehnten Jahrhundert erfanden, um den Sklavenhandel durch angebliche Überlegenheit der Weißen "Rasse" zu rechtfertigen. Biologisch verschiedene Menschenrassen gibt es nicht. Man sollte meinen, dies sei nun weithin bekannt. Der Roman von Sanyal hilft nicht nur dabei die zugrundeliegenden Lehren zu verstehen, sondern eben auch nachzuvollziehen, was es heißt, als PoC in Europa zu leben, vielleicht hier geboren zu sein und doch nie richtig dazuzugehören. Gefragt zu werden, woher man komme... Nein, wirklich herkomme...

Die Erzählstimme folgt dabei vor allem einer herausragenden Studentin Saraswatis: Nivedita. Sie schreibt einen Blog über das Leben als PoC in Deutschland und unterhält sich dabei digital (und auch offline) mit der Göttin Kali. Sanyal verwebt gekonnt verschiedene Textstile und Medien miteinander. So erscheinen im Buch nicht nur Niveditas Blogeinträge sondern auch unzählige Tweets und Artikel zur Debatte, die Sarawatis Bloßstellung zum race-passing auslöst hat, sowie Notizen aus Niveditas Seminarmitschriften, welche durchweg Zitate bekannter und weniger bekannter Denker*innen zum Thema race und Rassismus darstellen. Dadurch vermittelt Sanyal nicht die eine "richtige" Meinung zum Diskurs sondern viele verschiedene. Sie schafft etwas in Form eines Romans, was ansonsten eher schwierig wäre, verständlich zu vermitteln: die widersprechenden Sichtweisen zu ein und demselben Thema, welche alle gleichzeitig wahr aber auch falsch sein können. Durch eine gekonnte Dramaturgie wird auch das Aufbauschen und Abflauen eines virtuellen Shitstorms grandios abgebildet.

Als Roman, der nicht nur leichtfüßig und mitunter amüsant, komplizierte Zusammenhänge vermitteln kann, sondern auch eine Debatte so ausführlich ausleuchtet, mit einem enormen theoretischen Hintergrund, welcher durch das Nachwort, die Quellenangaben sowie Literturhinweise abgerundet wird, könnte dieses Buch perfekt - sogar wirklich großartig - sein. Nun das "Aber", warum es bei mir nur 4,5 Sterne mit einer Tendenz zu den 4 Sternen geworden ist. Der Plot lahmt im Mittelteil ein wenig und es gibt eine irgendwie nebensächlich wirkende Beziehungskiste, die etwas obsolet bis nervig wirkt. Unabhängig davon bin ich wirklich begeistert von diesem Roman Mithu Sanyals und kann ihn vorbehaltlos wirklich allen Interessierten empfehlen.