Rezension

Wenn der eigene Sohn tötet

Liebe ist nicht genug - Ich bin die Mutter eines Amokläufers - Sue Klebold

Liebe ist nicht genug - Ich bin die Mutter eines Amokläufers
von Sue Klebold

Bewertet mit 4 Sternen

Der 20. April 1999 ist für viele Menschen ein Datum, das man in Erinnerung behalten hat. An diesem Tag kam es zu einem der größten Schul-Amokläufe. Dylan Kleebold und Eric Harris betraten ausgerüstet mit Gewehren und Sprengstoff die Columbine Highschool. Dort töteten sie 12 Schüler und einen Lehrer, verletzten 24 weitere Menschen und töteten sich dann selbst. Sue Kleebold, die Mutter von Dylan, beschreibt in diesem Buch, wie ihre Erinnerung an Dylan ist, ob es Anzeichen gab, wie sie nach dem Amoklauf weiterlebte. Vor allem aber beschreibt sie, wie man um den Sohn trauern kann, auch wenn man weiß, dass er ein Mörder ist.

Ich habe sehr viele Bücher zum Thema Amoklauf gelesen, Auch gerade zu diesem Amoklauf, da ich damals eine Brieffreundschaft mit einer Bewohnerin  aus der Nachbarschaft der Highschool hatte. Für mich ist es dennoch nach wie vor schwer, nachzuvollziehen, wie es zu solchen Taten kommen kann. Viele Autoren, viele Wissenschaftler kommen sehr schnell mit Theorien, die sie mehr oder weniger gut mit irgendwelchen Daten und vermeintlich belegten Fakten belegen. Schnell heißt es auch immer : "Die Eltern müssen schuld sein." - "Die Erziehung ist schuld." - "Computerspiele sind schuld." Aber kann das wirklich so einfach erklärt werden?

Wenn man dieses Buch liest, überdenkt man diese Theorien sehr schnell. Und das, obwohl Sue Kleebold nicht einmal eine deutliche Verteidigung schreibt, oder versucht, diese Aussagen zu widerlegen. Sie beschreibt die Kindheit, viele Ereignisse aus den letzten Jahren und Monaten vor dem Amoklauf. Und man kann sagen: die Eltern haben sich gekümmert. Dylan war nicht verwahrlost. Er hatte Eltern, die für ihn da waren. Er war kein notorischer Einzelgänger, er hatte Freunde, er unternahm viel, war oft mit anderen Leuten unterwegs. Dennoch hat keiner bemerkt, dass Dylan offenbar auch an starken Depressionen litt. Und dass es durchaus Mbbing gegen ihn gab. Dass er mit Schwierigkeiten kämpfte. Wie kann das sein?

Sue Kleebold hat sich damit beschäftigt. Und sie hat feststellen müssen, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen Depressionen sich auf eine Weise bemerkbar macht, die man durchaus auch erst einmal als typische pubertäre Anzeichen deuten kann. Hätte man dennoch etwas merken können? Ja, man hätte. Haben die Eltern versagt? Vielleicht. Aber machen andere Eltern nie Fehler? Kann man den Eltern vorwerfen, dass sie einfach einen Fehler gemacht haben, der im Endeffekt gravierender war als die Fehler anderer Eltern? Sue Kleebold setzt sich mit all diesen Sachen auseinander. Sie sieht, wo sie hätte eingreifen können. Sie denkt darüber nach, ob sie anders hätte reagieren sollen. Sie beschreibt auch ihren eigenen schwierigen Weg, selber mit der Situation klarzukommen. Durch die Arbeit in Organisationen für Suizidprävention findet sie einen Weg, mit dem sie versuchen will, anderen Eltern zu helfen. 

Das Buch ist nicht nur interessant. Es gibt ganz neue Einblicke auf das Thema. Keine Entschuldigungssuche, selbstkritisch. Voller Liebe, aber auch voller Zweifel, voller Ungewissheit, voller Unsicherheit. Ich kann es wirklich empfehlen, wenn man sich für die Theamtik interessiert.