Rezension

Wenn der Schein trügt - bewegender Dilogie-Auftakt basierend auf deutscher Geschichte

Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein. -

Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein.
von Hanna Caspian

Bewertet mit 4 Sternen

Rezension: Schloss Liebenberg - Hinter dem hellen Schein
Autor/in: Hanna Caspian
Erschienen: 09/2022
Verlag: Knaur
Paperback: 432 Seiten
Es ist mein erstes Buch von Hanna Caspian und ich bin angenehm überrascht. Ich mag Erzählungen aus einer Mischung aus Fiktion und historischen Ereignissen. Und genau das hat sie mit dem 1.Teil der Geschehnisse um Schloss Liebenberg überzeugend und eindrucksvoll gemacht. Schon alleine Cover und Titel beeindrucken, weil man einerseits einen Hinweis auf den Inhalt bekommt, gleichzeitig aber auch neugierig gemacht wird, was auch dem Titel zu verdanken ist. Und dieser ist sehr passend gewählt, da es zwar ein wenig an Erzählungen wie Downton Abbey erinnert, hier aber aus der Sicht des Personals erzählt wird und man dadurch einen spannenden, bewegenden Blick hinter die Scheinwelt des Adels erhält. All die Charaktere, ob sympathisch oder nicht, sind so ausdrucksstark und bemerkenswert dargestellt, dass man bei jedem sofort ein bestimmtes Bild im Kopf hat und verschiedene Reaktionen auslöst.
Die Hauptprotagonistin Adelheid, die überraschend ins Schloss geordert wird, ist eine junge, fleißige und kluge Frau, auch wenn sie aus den ärmsten Verhältnissen kommt und mit dieser Anstellung eine große Last der Verantwortung für den Rest ihrer Familie trägt. Viele Szenen erschüttern, wenn man diese großen Unterschiede zwischen Armut und Reichtum so offen miterlebt. Wie eng Verzweiflung mit ständigen Hoffnungsschimmern verbunden ist, die Angst um die Familie, die Arbeit, das Überleben. Gleichzeitig finden Intrigen, Vorgesetzte, die ihre Stellung ausnutzen und vor Demütigungen nicht scheuen, auch ihren Platz.
Die Autorin hat zu diesen Eindrücken des Personals den Skandal um Kaiser Wilhelm und seinen besten Freund den Fürsten zu Eulenburg wunderbar mit eingebaut - all die politischen Bewegungen zu dieser Zeit, wie das Personal damit umgeht, was hinter den Kulissen abläuft und wie sich die Unruhen des Volkes und der Druck der Medien bemerkbar machen.
Selbst wenn man keine geschichtlichen Vorkenntnisse hat, wird man regelrecht mitgerissen. Es ist verständlich geschrieben, auch wenn man sich an etliche Namen gewöhnen muss. Mich haben auch all die Erklärungen und Einblicke in den Ablauf der Tätigkeit begeistert - ob es um die Rangordnung des Personals geht, wie gewisse Dinge gehandhabt werden und wer für was zuständig ist. Wirklich toll recherchiert und genau diese Eindrücke und die Sichtweise des Personals haben das Buch lebendig wirken lassen, so dass auch die politischen Einlagen nicht ganz trocken wirkten.
An manchen Stellen hätte ich mir noch ein wenig mehr Emotionen und Spannung gewünscht und auch einige romantische Ansätze wirkten etwas trocken und unpersönlich.
Doch alles in allem freue ich mich jetzt schon auf die Fortsetzung dieser Dilogie - absolut lesenswert. Eine ausdrucksstarke Erzählung über eine Zeit, die die deutsche Geschichte nachhaltig beeinflusst hat, sehr nachdenklich stimmt, offen und erschütternd die Klassenunterschiede und das Leben in Armut aufzeigt, ebenso wie das Denken und die Vorurteile, die damals vorherrschten. Ein Kampf ums Überleben und für die Rechte der Schwächeren.