Rezension

Wenn man Moral und Gewissen verliert

Löwen wecken - Ayelet Gundar-Goshen

Löwen wecken
von Ayelet Gundar-Goshen

Bewertet mit 4 Sternen

~~Der Neurochirurg Etan Grien ist mit seiner Frau Liat glücklich verheiratet und hat zwei Söhne. Nachdem er in seinem alten Job in Ungnade gefallen war, muss er nun zur Strafe in einen Krankenhaus in israelischen Beer Scheva Dienst tun, was ihm überhaupt nicht gefällt. Eines Abends auf dem Weg nach Hause möchte er einfach nur mal wieder spüren, dass er am Leben ist und jagd seinen Jeep bei lauter Musik die Straße entlang. Dabei konzentriert er sich allerdings nicht so sehr auf die Straße, was ihm zum Verhängnis wird. Er überfährt einen illegalen Einwanderer, der noch am Unfallort an den schweren Verletzungen stirbt. Nachdem sich Etan davon überzeugt hat, dass ihn niemand beobachtet hat, lässt er den Verletzten einfach liegen und begeht Fahrerflucht, in der Hoffnung, sein Leben einfach weiterleben zu können. Doch kurze Zeit später steht eine schöne Fremde namens Sirkit vor seiner Haustür, sie ist die Ehefrau des Unfallopfers und hat Etans Tat beobachtet. Sirkit erpresst ihn mit ihrem Wissen, damit er die illegalen Einwanderer nachts kostenlos behandelt. Etan bleibt gar nichts anders übrig, als der Forderung Folge zu leisten, denn er hat Angst, seine Familie und sein gewohntes Leben zu verlieren. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass seine Ehefrau Liat als Polizistin den Fall des Unfallopfers untersucht. Ab sofort steht das Lügen für Etan an der Tagesordnung. Wird er ungestraft aus der Sache herauskommen oder wird er alles verlieren?

Die israelische Autorin Ayelet Gundar-Goshen hat mit ihrem Roman „Löwen wecken“ ein außergewöhnliches Buch vorgelegt. Der Schreibstil ist nicht leicht zu lesen, hat jedoch neben groben Worten auch jede Menge Poesie und Einfühlungsvermögen zu bieten, die dem Leser die Gefühle und Ängste der einzelnen Protagonisten sehr nahe bringt. Die Charaktere sind meisterhaft angelegt, man bekommt eine Personenstudie vom Feinsten geliefert. Der Alptraum beginnt mit dem unerlaubten Entfernen des Unfalls. Ein falscher Schritt, der eine Katastrophe nach der nächsten wie einen Rattenschwanz hinter sich her zieht, wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird immer größere Kreise zieht. Da ist Etan, unzufrieden mit seiner Arbeitssituation, er fühlt sich ungerecht behandelt und will in sein altes Leben zurück. Durch seine unbedachte Handlung und seine Angst vor größeren Folgen muss er nun ständig seine Familie belügen, um das zu behalten, was ihm lieb und teuer ist. Dabei verkauft er sich und seine Werte immer mehr, gerät geradezu in einen Abgrund aus immer mehr Lügen und beschwört damit weitere Katastrophen hervor. Die Veränderung seines Wesens wird wunderbar in Szene gesetzt, als Leser merkt man allerdings auch, wie die eher anfängliche Sympathie zu Etan immer mehr zu Unverständnis führt. Sirkit ist eine starke Frau, die anderen Menschen helfen will durch die Erpressung von Etan. Sie spielt mit seinen Schwächen und nutzt ihn aus, doch irgendwie besteht zwischen den beiden auch ein unsichtbares Band, das mal in die eine, mal in die andere Richtung gespannt ist. Etans Ehefrau Liat spielt als Polizistin nur eine eher untergeordnete Rolle in dieser Geschichte.

„Löwen wecken“ ist keine leichte Lektüre, sondern vielschichtig, anspruchsvoll, spannend und voller Überraschungen. Eine Leseempfehlung für alle, die gerne bei der Lektüre mitdenken und sich auch im Nachhinein noch Gedanken machen wollen.