Rezension

Schuld und Sühne

Löwen wecken - Ayelet Gundar-Goshen

Löwen wecken
von Ayelet Gundar-Goshen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Neurochirurg Etan Grien wird strafversetzt in ein Krankenhaus in einer Wüstenstadt, nachdem er in Tel Aviv korrupte Machenschaften seines Chefs aufgedeckt hat. Nach einem langen Arbeitstag begibt er sich in seinem Jeep auf eine Rallye über eine Wüstenpiste und überfährt einen illegalen Einwanderer und Drogenkurier aus Eritrea. Ohne Hilfe zu leisten lässt er ihn sterben und entfernt sich vom Unfallort, weil er Angst hat, er werde seine Frau, die er liebt, verlieren, da er nicht der Mann ist, für den sie ihn gehalten hat. Am nächsten Tag erscheint die Ehefrau Sirkit des Toten bei Etan, die den Unfall beobachtet hat. Sie schließen einen Pakt: Sirkit wird schweigen, während Etan ab sofort Nacht für Nacht Einwanderern medizinische Behandlung gewährt. Das geht über Wochen so und durch sein Doppelleben droht er seine Familie zu verlieren. Etan versinkt in einem Sumpf aus Lügen und Verbrechen. Ausgerechnet Etans Frau führt als tüchtige Polizeibeamtin Ermittlungen in dem Fall.

 

Es ist eine wirklich spannende Geschichte, und der Leser fiebert ihrem Ausgang entgegen. Wird Etan sich am Ende zu seiner Tat bekennen und alle Konsequenzen tragen? Das soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden.

Das Gelungene und zugleich Absurde an der Darstellung des Protagonisten Etan ist, dass man eigentlich auf seiner Seite ist und ihn wegen seines einmaligen Fehlverhaltens nicht verurteilt oder bestraft sehen will. Immerhin sühnt er sein Unrecht unzählige Male, indem er bei seiner nächtlichen Arbeit im Untergrund viele Leben rettet.

Sowohl Etan als auch die weitere Protagonistin Sirkit verändern sich deutlich im Laufe der Geschichte. Sie – der Unfallflüchtige und die Erpresserin – kommen einander näher und begehren sich sogar. So stellt sich dann die Frage, die einen auch zum weiteren Lesen antreibt, ob aus ihnen am Ende ein Paar wird.

Die Autorin betreibt mit dem Roman eine gehörige Portion Kritik an der israelischen Gesellschaft, insbesondere dem dortigen Flüchtlingsproblem und der Hackordnung zwischen Juden, Arabern, Beduinen und Einwanderern aus Afrika. „Illegales Leben“ scheint von geringerem Wert zu sein. Das lässt einen nachdenklich zurück. Auch wird die bedrückende Lage der afrikanischen Flüchtlingsfrauen angeprangert, die vom Regen in die Traufe kommen.

Leicht zu lesen ist der Roman nicht. Gewöhnungsbedürftig sind zunächst die israelischen Namen und Eigennamen und die dem deutschen Leser eher unvertraute Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Land. Hinzu kommt, dass die Autorin immer wieder abschweift und häufig allgemeine, fast philosophisch anmutende Überlegungen anstellt. Viele allgemeine Erörterungen finden sich in ausführlichen Klammerzusätzen. Allerdings gelingt es ihr immer wieder, zum Kern der Geschichte zurückzukehren und sie schlüssig zu Ende zu führen.

Es ist eine Lektüre, wie ich sie liebe, weil sie anspruchsvoll ist und sich von der Masse der Bücher  abhebt.