Rezension

Wer bin ich?

Manchmal rot
von Eva Baronsky

Bewertet mit 4 Sternen

Christian von Söchting ist ein vom Erfolg verwöhnter Wirtschaftsanwalt, der über Leichen geht. Im Privatleben hat er allerdings  wunde Punkte - seine Freundin hat ihn verlassen, er frönt dem Alkohol und beschäftigt illegal eine Putzfrau. Diese fällt ausgerechnet in seiner Wohnung von der Leiter und verliert bei dem Sturz ihr Gedächtnis. Sie beginnt, die Vergangenheit der Frau (Angelina), die sie einmal gewesen sein soll, aufzuspüren. Das Resultat - des Lesens nicht mächtig, Freundin eines gewalttätigen Spielers - passt so gar nicht zu der Frau, zu der sie sich seit dem Unfall entwickelt, die sich nämlich das Lesen und Klavierspielen selbst beibringt und sich selbstbewusst in Christians Wohnung einquartiert und sich zu dessen neuer Freundin befördert.

 

Es handelt sich um eine besondere Geschichte, wie ich sie am liebsten lese. Allein schon der Schreibstil ist ungewöhnlich. In den sich abwechselnden Abschnitten, die jeweils aus Christians und Angelinas Perspektive geschrieben sind, finden sich gehobene Sprache mit zahlreichen, oft schwer verständlichen Einschüben aus dem Englischen sowie schlichte Sprache. Das entspricht vollkommen dem Wesen der beiden Protagonisten. Zudem arbeitet die Sprache viel mit Farben, wiederum bezeichnend für Angelina, die sich mit ihren Sinnen neu zu finden sucht und demgemäß Eindrücke und Empfindungen in Farben und Formen wahrnimmt. Schließlich wird in den Angelina betreffenden Passagen mit unterschiedlichen Personalpronomen (1. und 3. Person) gearbeitet und so gut Angelinas Verwirrung bzgl. ihrer Identität dargestellt.

 

Wirklich gelungen ist der Autorin die Herausarbeitung der Persönlichkeitsveränderungen, die Angelina  vor und nach dem Unfall erfährt sowie der Bedeutung eines Gedächtnisverlustes für seinen Träger. Anhand von Christian wird aufgezeigt, dass auch jemand mit funktionierendem Gedächtnis den Blick dafür verlieren kann, wer er eigentlich ist und sein will.

 

Ein zum Nachdenken anregendes und die Phantasie beflügelndes Buch, weil es das Ende offen lässt.