Rezension

Wer einen Muslim liebt, ist sofort verdächtig - Eine brennend aktuelle und dabei bewegende Liebesgeschichte

Sie allein - Fikry El Azzouzi

Sie allein
von Fikry El Azzouzi

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt
Sie nannten die neue Küchenhilfe Abu Abwasch – Ayoub spülte im Restaurant von Eva und ihrem Freund Stefaan das Geschirr. Ein Abwäscher arbeitet so lange wie das Restaurant geöffnet ist, bei Ayoub sind das 16 Stunden. Ohne ihn müsste der Laden schließen, falls der Chef sich nicht selbst ans Spülbecken stellt. Die 25-jährige Eva, die die Geschichte in der Ichform erzählt, nimmt zunächst an, als Marokkaner wäre Ayoub automatisch gläubiger Muslim. Mit einer Portion Selbstironie blättert der Neue jedoch auf, was seine Persönlichkeit ausmacht. Seine Eltern sind Einwanderer aus Marokko, er ist Vegetarier, Serienfan, GoT-Zuschauer, hat die Schule abgebrochen und sich mit allerlei Jobs durchgeschlagen – und wird im Brüssel der Gegenwart aufgrund seiner Herkunft automatisch für verdächtig gehalten. Wenn du Allah anrufst, machst du dich automatisch verdächtig; mit einem Satz, auf dem eine ganze Religion aufbaut.

Eva hat sich auf das Restaurant-Projekt nur Stefaan zuliebe eingelassen und hält das inzwischen für keine gute Idee mehr. Während im alltäglichen Stress hinter den Kulissen des Lokals rumgeschrien, gemobbt und Schlimmeres getan wird, verliebt sich Eva zunächst zögernd in Ayub. Die junge Liebe zeigt sich Eva wie ein Sprung ins kalte Wasser. Voller Zweifel, ob ihre Liebe zu einem prolligen jüngeren Mann von stürmischem Temperament gut gehen kann, gerät sie in Rechtfertigungszwang wegen ihrer Liebe. Würde sie ernsthaft konvertieren? Ihrem Mann gehorchen? Sich den Vorstellungen ihrer Schwiegermutter unterwerfen? Du musst Männer kolonisieren, gib ja keinen Fußbreit nach, damit du nicht kolonisiert wirst, mahnt Busenfreundin Hannah. Eva muss sich fragen, was sie für Ayubs Religion bereit ist aufzugeben, zu welchen Kompromissen sie für diese Liebe bereit ist. Die Bedrohung durch Terroranschläge hat inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass Ayub Eva bittet, das muslimische Glaubensbekenntnis zu lernen und zu sprechen, falls ihm etwas passieren sollte. Während Eva in der allgemeinen Panik allein aufgrund ihrer Beziehung zu Ayub als Sympathisantin verdächtigt wird, nimmt die Handlung dystopische Züge an.

Fikri el Azzouzi beschreibt aus der Sicht der Frau mit „Sie allein“ sehr einfühlsam die Liebe eines ungleichen Paares. In einer an ihren Rändern dystopischen Handlung wirft er dabei die Frage auf, wie privat Religion noch ist, ob sein Belgien in diesem Roman sich zur Diktatur entwickelt hat und wer letztlich für die Entstehung von Hass verantwortlich ist. Sein Erzählton ist frech bis ironisch, der Humor an der Grenze des Zynismus. Als Leser muss man sich leicht betreten fragen, wo hier Spaß und Ernst ineinander übergehen, über welche Inhalte man heute noch spotten darf – und vor allem, wer darf das?

Fazit
Fikri el Azzouzis erster in Deutschland erschienener Roman „Wir da draußen“, spiegelte zu stark die Realität muslimischer Jugendlicher wieder, um als Fiktion auf mich zu wirken. Mit seinen Übergängen zu dystopischen Entwicklungen im durch Terrorismus bedrohten Brüssel und Evas ernüchternder Konfrontation mit dem Islam spielt „Sie allein“ meiner Ansicht nach in einer ganz anderen Liga. Ein brennend aktueller Roman – und eine bewegende Liebesgeschichte.