Rezension

„Wer einmal mit Lucinda im Keller war, kehrt nicht wieder.“

Und auch so bitterkalt - Lara Schützsack

Und auch so bitterkalt
von Lara Schützsack

Bewertet mit 5 Sternen

Und auch so bitterkalt ist es Lucinda zumute. Sie trägt viele Lagen Kleidung gegen das Frieren.

Die meist düstere, teils auch poetische Geschichte wird aus der Sicht der Ich-Erzählerin berichtet, für die Lucinda merkbar der Fixstern im Universum ist. Bald wird klar, dass es sich bei der Ich-Erzählerin um Lucindas jüngere Schwester handelt, Malina. Malina lebt im Sog ihrer großen Schwester, es steht von Beginn des Buches an außer Frage, wer hier die jüngere ist. Lucinda „… hat nur Feindinnen oder Bewunderer.“ S. 17 Sie ist phantasiebegabt, erzählt der jüngeren Geschichten und schleicht sich mit ihr heimlich davon – die beiden leben beinahe in einer eigenen Welt. Lucinda ist sich ihrer Wirkung bewusst – und sie nutzt sie aus, besonders gegenüber Jungen. Aber da ist mehr, was besonders der jüngeren, deren Name nur selten im Buch genannt wird, bewusst ist: „Meine Schwester hat dunkle Tage. …Manchmal starrt es dich nur an. Aber manchmal streckt es die Zunge aus und berührt dich damit, und das fühlt sich an, als würde man dir mit Isas [d.i. die Mutter] Lockenstab ein Loch in den Bauch brennen …. Das Tier.“  S. 24
Die Eltern sind hilflos – die jüngere Tochter nehmen sie meist nicht wahr oder schieben sie in die Rolle der „problemlosen Tochter“. Sie reagieren in allen Varianten: passiv, verharmlosend, praktisch nie konkret werdend, mit Aktionismus, mit Angst, Hysterie, Erpressung, Drohung, Bestechung… und Lucinda schiebt Malina ihre Essensportionen unter, zieht sie oft mit nach unten.
Die Autorin schafft es, im Buch wohldosiert zwischen der Anziehungskraft Lucindas und dem Universum der Schwestern zu wechseln mit den düsteren Seiten. Der Schreibweise kann man gut folgen, wobei Schützsack auch zu optisch eher ungewohnteren Mitteln greift. Das Ende ist recht mehrdeutig – ein Buch, bei dem es weniger darum geht, hier nicht zu viel zu verraten, sondern darum, es zu lesen und darüber nachzudenken, sich davon anregen zu lassen. Einige der durchschimmernden Informationen waren mir völlig neu (vgl. meine Links unten zu Behaarung und Zusammenhängen der verschiedenen Probleme)– schon allein dafür möchte ich dieses Buch empfehlen. Lässt man sich auf den kurzen Roman ein, kann er in seiner teilweisen Trostlosigkeit durchaus düster wirken, so dass es sicherlich Jugendliche gibt, die man damit nicht allein lassen sollte. Ich halte es für eine gute Empfehlung als Buch für den Unterricht, mit nur 188 Seiten landet es da hoffentlich auch nicht auf der Liste der ungeliebten Schullektüren.

Manko, fast lächerlich angesichts der Informationsfülle des Internet: ich hätte mir Tipps/Links zu weiterführenden Informationen am Ende gewünscht, besonders zu Möglichkeiten der Hilfe – auch wenn das Buch gerade hier eindrucksvoll klar macht, wie schwierig schon die reine Einsicht einer Notwendigkeit der Reaktion ist.
http://www.magersucht.de/krankheit/symptome.php
http://www.psychiatrie.de/bapk/kinder/krankheitsbilder/anorexie/

 

Anschlussbuch: ich lehne mich hier einmal aus dem Fenster, da ich nur das Meditations-Buch des Autors kenne und aus dem gleich genannten nur Auszüge - aber auch er kennt hier ein Tier:

Matthew Johnstone: "Der schwarze Hund"

(Untertitel: Wie man Depressionen überwindet und Angehörige und Freunde dabei helfen können)