Rezension

Willkommen in Great Minden

Ein Tag im Sommer - J. L. Carr

Ein Tag im Sommer
von J. L. Carr

Bewertet mit 5 Sternen

Bereits 1994 ist der britische Autor J. L. Carr verstorben. Erst ab 2016 erschienen seine Romane auch hierzulande in deutscher Übersetzung. Aber besser spät als nie! Denn Carr hat ganz wunderbare Geschichten geschrieben.

"Ein Tag im Sommer" ist exakt das, was der Titel verspricht. Ein Mann, Peplow, fährt mit dem Frühzug in die Kleinstadt Great Minden. Dort will er nichts anderes, als den Schausteller zu töten, der vor einem Jahr betrunken seinen kleinen Sohn totgefahren hat und vom Gericht freigesprochen wurde. Nur diesen einen Tag will er bleiben. Nur diese eine Aufgabe will er erledigen. Doch wie es der Zufall will, trifft er dort seinen ehemaligen Armeekameraden Ruskin, der an den Rollstuhl gefesselt und verbittert den Bewohnern von Great Minden und ihren kleinen Geheimnissen hinterherspioniert.

So lernen wir an diesem Tag nicht nur Peplow und Ruskin kennen, auch dem unbeliebten Pfarrer und seiner untreuen Frau folgen wir. Der früher einmal lebensfrohen und nun verbitterten Schuldirektorin und dem Lehrer Croser, ein Blender und Frauenheld, der nach oben buckelt und nach unten tritt aber in seinem selbstverschuldeten Elend trotzdem irgendwie sympathisch ist. Wir folgen dem im sterben liegenden Bellenger und seinem kleinen Sohn Nick, der seine Mutter nie kennengelernt hat. Der klatschsüchtigen Frisörin Effie und der Familie Thickness mit ihrem arbeitsscheuen Vater und der zu zahlreichen Kinderschar. All diese Leute sind auf verschiedene Art miteinander verbunden. Sie alle haben Geheimnisse oder Probleme, die an diesem Sommertag ihren Höhepunkt erreichen.

Carr erschafft trotz der dramatischen Umstände eine ruhige Atmosphäre. Die schwere des Sommers und das bunte Treiben der Kirmes am Abend sind stimmungsvoll beschrieben. Die bedrückenden Teile der Geschichte, in denen von Tod, Krieg und Verlust die Rede ist, werden durch Crosers strapaziöses Liebenleben oder diverse Kleinstadtstreitereien der bauernschlauen Einwohner aufgelockert.

Wie schon "Ein Monat auf dem Land" hat mir "Ein Tag im Sommer" ausgesprochen gut gefallen. Das bunt gemischte Personal hat Hintergrund und Widererkennungswert. Die Mischung aus trockenem Humor und bedrückender Ernsthaftigkeit ist hervorragend gelungen. Und auch wie schließlich alles aufgelöst wird war spannend und durchweg passend. Wer beispielsweise Jane Gardam mag, wird auch mit J. L. Carr sehr glücklich werden.