Rezension

Wohlfühlmärchen

Sungs Laden - Karin Kalisa

Sungs Laden
von Karin Kalisa

Bewertet mit 5 Sternen

Ein modernes federleichtes Wohlfühlmärchen mit nachdenklich machenden ganz leisen Zwischentönen.

Am Prenzlauer Berg blinzelte man in den Himmel und schaute zugleich tief in die eigene anarchische Seele, die ein bisschen Fett angesetzt hatte mit den Jahren.

Allles fängt damit an, dass der Schuldirektor kurz vor Weihnachten mitten in den eh schon hektischen Vorbereitungen, noch schnell eine "weltoffene Woche" veranstalten soll. Der Einfachheit halber und aus Bequemlichkeit, gibt er das Thema an die Lehrerinnen und ihre Schüler mit Migrationshintergrund jeglicher Art ab, die ein "Kulturgut aus der Heimat" vorstellen sollen.

Minh, Sungs Sohn und die zweite Generation einer vietnamesischen Einwanderfamilie, sucht Rat bei seiner Großmutter. Die packt kuzerhand ihre geliebte Wasserspielpuppe aus und erzählt in ruhigen aber sehr eindringlichen Bildern ihre Geschichte.

Dieser kurze Moment löst eine langsame aber schneeballartige Kettenreaktion aus. Im Mittelpunkt die vietnamesischen Ladenbesitzer im Berliner Prenzlberg und ihre Mitmenschen, die größtenteils erst jetzt anfangen ihre Nachbarn wirklich wahrzunehmen.

Ich bin so lange um dieses Buch herumgeschlichen.... Märchen sind nicht so mein, aus manchen Rezensionen meinte ich herauszulesen, dass es so überspitzt wird, dass es schon fast einer Persiflage gleicht (das habe ich jetzt z.B. überhaupt nicht so empfunden!). Letztendlich hat es mich dann doch gepackt, plötzlich musste ich es unbedingt haben, so dass ich noch in der Mittagspause in die Stadt gefahren bin.

Für mich ist dieses Buch ein kleiner Schatz und ich denke, jeder, der diese leisen, aber unterschwellig erzählten kleinen Geschichten mag (wie z.B. Namiko), wird es genauso lieben, wie ich.

Es ist ein Buch der ruhigen Töne, darauf muss man sich einlassen, um sie auch wahrzunehmen und wirken zu lassen. Mich haben sie sehr berührt, die individuellen, aber doch eigentlich so geläufigen Geschichten, jeder einzelnen Person. Warum Ly Phong aufgehört hat zu lächeln, wie verloren Sung sich auf dem vietnamesischen Markt fühlt, weil er die Sprache nicht spricht usw.

Wenn man mag, gibt das Buch einem kleine Einblicke in die Geschichte der vietnamesischen Leiharbeiter, die damals in die DDR gekommen sind. Nicht als Geschichtsstunde, sondern auf die fernöstliche Art, federleicht gehaucht. Das ist es, was das Buch ausmacht.

Ich wohne zwar nicht in Berlin, aber ich liebe den Prenzlberg und er ist gefühlt meine zweite Heimat. Trotzdem hatte ich mich mit der Thematik noch nie befasst, eigentlich war ich mir sogar noch nicht einmal bewusst.
Dieses Buch macht einen Aufmerksam wieder genauer hinzuschauen, seine Mitmenschen wahrzunehmen und auch mal mit Gewohnheiten zu brechen. Und das kann in der heutigen Zeit ja nicht so verkehrt sein, oder....

Fazit: Oberflächlich gesehen, ein schönes Wohlfühlmärchen, hinter dem sich tiefer geschaut,viele Geschichten und Schicksale verbergen.