Rezension

Wort- und bildgewaltige Geschichte über Schuld und die Suche nach der Wahrheit

Rabenseele - Alexandra Kui

Rabenseele
von Alexandra Kui

Bewertet mit 5 Sternen

Was geschah vor über drei Jahren, als Lua Baron mit ihrem Mann David Streit hatte? Von einem Moment auf den anderen ist er tot, erschossen. Lua kann sich nicht mehr erinnern, bekommt für ihre Tat ein mildes Urteil, da David in der Ehe gewalttätig war. Drei lange Jahre sitzt sie im Gefängnis, danach wieder im Leben Fuß zu fassen fällt ihr schwer. Früher war sie Pilotin, jetzt sitzt sie in einem Drogeriemarkt an der Kasse. Ihre Gedanken kreisen ständig um die Tat, Lua leidet unter ihrer Schuld, ist zerrissen und kann nicht von der Vergangenheit lassen. So sehr sie sich anstrengt, die Erinnerung an den Tag kommt nicht zurück.

Irgendwann steht für sie fest dass sie wieder in den kleinen Ort im Harz zurückkehren muss, um Gewissheit zu bekommen.  Zurück ins kalte Tal, zurück in die Nähe des Rabenstein. Sie quartiert sich in Davids Jagdhütte ein, wo sich seit jenem verhängnisvollen Tag nichts verändert hat. Die Bewohner des Ortes begegnen ihr mit Ablehnung, Lua ist nicht erwünscht.

Wow, ich bin immer noch geflasht von dieser wort- und bildgewaltigen Geschichte um eine zerrissene, verletzte Frau, die sich schuldig fühlt und sich immer wieder selbst bestraft. Die eine Leere in sich trägt, die sie nur durch Schmerz ausfüllen kann. In ihrem bisherigen Leben scheint sie kaum Liebe empfangen zu haben. Ihre Mutter stand ihr immer ablehnend gegenüber, wahrte Distanz, ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Mit David schien sich alles zum guten zu wenden, bis sie auch von ihm Gewalt erfährt. Ist es verwunderlich, dass sie bei einem letzten Streit die Kontrolle verliert und ihn erschießt? Und doch kann sich Lua an diesen einen Moment nicht erinnern.

Alexandra Kui bedient sich eines stimmungsvollen, teils poetisch anmutenden Schreibstils, der auf mich eine Sogwirkung hatte. Manche Sätze sind knapp, prägnant, bringen die Dinge direkt auf den Punkt. Dann wieder gibt es aneinandergereihte Eindrücke oder Gedanken. Zwischendrin  poetische Sätze, die beim lesen auf der Zunge zergehen:

"Früher starb hier eine stillgelegte Tankstelle einen ebenso langsamen wie anmutigen Tod, unterwarfen die Gräser, Gehölze und Moose den versiegelten Boden Stück für Stück wieder den Spielregeln der Natur"

Sie beschreibt die wilde Natur des Harzes eindrucksvoll, die Wetterlagen, die Geräusche und Gerüche, dass ich das Gefühl hatte, direkt neben Lua zu stehen und alles hautnah miterleben konnte. Auch die Personen sind gut charakterisiert, allen voran Lua, aus der ich lange nicht schlau geworden bin. Lua ist definitiv keine einfache Protagonistin, oft ist nicht klar was real ist, was sie sich einbildet.  Ich bin ihr nicht nahe gekommen, konnte aber trotzdem mit ihr mitleiden. Die Distanz zu ihr empfand ich hier sogar hilfreich. Erst nach und nach erfährt man Details, die letztlich den Charakter Luas erklären.

In etwas mehr als einem Tag hatte ich die Geschichte gelesen, konnte das Buch nicht aus den Händen legen. Für mich war es ein Genuss diese Geschichte zu lesen, da der Schreibstil anspruchsvoll ist und sich von der breiten Masse abhebt.  Ich weiß schon jetzt dass mich die Geschichte um Lua noch einige Zeit beschäftigen wird, ich konnte lange nicht mehr so intensiv in eine Geschichte eintauchen.

Fazit: Ganz großes Kino! Eine Geschichte auf die man sich einlassen muss, um sie genießen zu können. Eines meiner Lesehighlights für dieses Jahr!