Rezension

Zu viel vorgenommen

Beerensommer - Inge Barth-Grözinger

Beerensommer
von Inge Barth-Grözinger

Bewertet mit 2.5 Sternen

Beerensommer ist ein Roman über Freundschaft, Liebe und Familie; er erzählt aber auch viel über die deutsche Geschichte. Die Geschichte beginnt recht vielversprechend mit zwei Erzählsträngen: Einmal gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Abstieg einer angesehenen schwäbischen Familie ins Armenhaus und zum anderen mit der jungen Anna und dem Tod ihrer Mutter im heutigen Berlin. Die Geschichte der Armenhäusler ist gut und spannend erzählt. Freundschaft und Stolz, die Träume zweier junger Männer und der harte Kampf ums überleben sind sehr anschaulich und lesen sich sehr angenehm. Der Teil der in der Gegenwart spielt wirkt dagegen flach und etwas steif. Ich bin mit Anna, der Hauptcharakterin, nicht richtig warm geworden. Sie wirkt teilweise etwas dümmlich und im Gegensatz zu den anderen Figuren blass und unfertig.

Die Autorin hat sich mit Beerensommer viel vorgenommen: Der erst und zweite Weltkrieg - bezeihungsweise das Leben zu der Zeit - wollen erzählt werden, die Leben von zwei Männern und verstrickte Familienverhältnisse wollen erklärt sein. Am Anfang gelingt das, später wird es jedoch schwierig. Die Idee, Anna die Aufzeichnungen ihres Großvaters lesen zu lassen macht Sinn. Und auch, dass Jahre in denen nicht viel passiert bei Gesprächen in der Gegenwart zusammengefasst werden ist gut gelöst. Leider verkommt die Anfangs so lebendige Geschichte in letzten Drittel des Buches zu einer einzigen großen Zusammenfassung. Die Leichtigkeit geht verloren, es werden mehr und mehr nur Fakten geschildert. Selbst mit über 400 Seiten kann man nun mal nicht konsequent ausführlich über 100 Jahre beschreiben. Nur schade, dass die Geschichte so nicht einheitlich bleibt und immer mehr abbaut.

Die Familienverhältnisse, die ein wichtiger Teil des Buches sind, sind leider sehr verworren. Immerhin wird über vier Generationen und drei Familien berichtet. Und da gibt es gleich mehrere Friedrichs, Annas, Marias und Richards. Dass es keinen Stammbaum gibt, ist dem Erhalt der Spannung geschuldet und das kann ich verstehen. Ein Personenverzeichnis hätte das Buch aber mindestens gebraucht! Perfekt wäre ein Stammbaum gewesen, der mit dem Wissensstand des Lesers erweitert wird. Ich habe mir letztendlich selbst einen Stammbaum gemalt und immer wieder die Lücken gefüllt, damit ich dem Überblick nicht verliere.

Die Sprache oder der Stil des Romans habe mich zwischenzeitlich an ein Jugendbuch erinnert, was schade war. Vor allem die Teile in der Gegenwart wirkten lieblos. Was mich etwas gestört hat war, dass Anna zwar im Tagebuch ihres Großvaters Johannes gelesen hat, aber trotzdem immer auch über seinen Freund Friedrich berichtet wurde. Und zwar Dinge, die Johannes nicht gewusst haben kann. Gegen Ende springt die Autorin noch von der Perspektive des Allwissenden Erzählers in die Ich-Perspektive Johannes, aber irgendwie fügt sich das in die zum Ende hin immer größer werdende Mängelliste des Romans ein...

Mein Fazit ist, dass der Roman stark beginnt, aber leider mit der Zeit mehr und mehr abbaut. Die Autorin hat sich einfach zu viel vorgenommen. Leider geht dabei auch Spannung verloren. Die Geschichte der beiden Jungen aus dem Armenhaus startet aber ansprechend und vor allem authentisch. Auch das Thema des Romans ist interessant und birgt viel Potential. Wäre der Roman so zu Ende gegangen, wie er Anfing, wäre ich zufrieden gewesen. In seiner jetzigen Form würde ich ihn nicht weiterempfehlen. Schade, denn zeitgeschichtliche Romane und Romane über eine geheimisvolle Familiengeschichte können so großartig sein. Dieser hat beides, aber der Funke wollte nicht überspringen.