Rezension

Zugreise über den Balkan, wohin führt sie ?

Unschärfen der Liebe -

Unschärfen der Liebe
von Angelika Overath

Bewertet mit 4 Sternen

Dies ist die Geschichte einer Dreiecksbeziehung und die Geschichte einer Reise des Hauptprotagonisten Baran. Die Reise führt ihn von der Schweiz quer über den Balkan nach Istanbul. Baran reist mit dem Zug.

Baran lebt seit drei Jahrem zusammen mit Cla in Istanbul. Cla stammt aus dem Engadin und hat seine Jugendfreundin Alva für den griechisch-türkisch stämmigen Baran, der in Düsseldorf aufwuchs, verlassen. Baran, Cla, Alva und deren 3jährige Tochter hatten einige Zeit zusammen in Chur verbracht. Cla war zuerst per Flugzeug nach Istanbul zurückgereist, ihm folgt jetzt Baran per 30stündiger Zugreise. Der Abschied von Alva auf dem Bahnsteig in Chur ist der Ausgangspunkt dieses Romans.

Auf seiner Reise reflektiert Baran sein bisheriges Leben, seine Beziehung zu Cla und Alva, seine türkisch-griechische Herkunft, seine Kindheit, die Geschichte seiner Familie bis zurück zu seinen Großeltern.

Mit der Bahnfahrt erfährt der Leser einiges über historische Hintergründe der vorbeiziehenden Balkanorte: Über Konstantin den Großen, geboren in Serbien, oder über Hurschid Pascha, Großwesir des Osmanischen Reiches, um nur zwei zu nennen. Hierdurch wird der Roman keinesfalls zu einer bloßen Reisebeschreibung unterlegt mit historischen Fakten. Die erwähnten Hintergründe sind vielmehr harmonisch in die persönliche Geschichte Barans eingewebt.

Dieser Roman hat mir gefallen. Er hat mir gefallen, weil er etwas Entschleunigendes, Ruhiges hatte. Dieses entschleunigende, langsame Moment spiegelt sich wieder in der monoton anmutenden 30stündigen Bahnfahrt: "vor-bei, vor-bei, vor-bei" klackern die Bahngleise, über die der Zug rollt. Gleichförmig, wiederkehrend, im positiven Sinn lang-weilig, unterbrochen von den Beobachtungen und Empfindungen Barans während der Zugfahrt. Erst kurz vor seinem Reiseziel erkennt Baran, mit wem er zukünftig leben will, er scheint angekommen zu sein. Das Gefühl des Wissens darüber, wie es in seinem Leben weitergehen soll, wird durch ein dramatisches Ereignis in den Hintergrund treten. Hier nimmt der Roman Fahrt auf, keine Lange-weile mehr, was für mich durchaus Symbolkraft hatte und sehr in die Story gepasst hat.

Gefallen haben mir die kurzen Sätze, die poetisch bildhafte Sprache, die präzise Wiedergabe der Beobachtungen Barans. Jeder, der gerne mit der Bahn reist, kann dies nachempfinden: Das Vorbeiziehen der sich stetig verändernden Landschaften, des Wetters, der Tageszeiten, der Mitreisenden, von denen man sich vorstellt, wie ihr Leben, ihr Alltag wohl aussieht. Ich finde, dieses Spezifische des Bahnreisens hat die Autorin sehr gekonnt mit ihrem Schreibstil wiedergegeben.

Der Roman ist als Trilogie angelegt, läßt sich aber auch einzeln gut lesen. Der erste Teil, "Ein Winter in Istanbul", den ich ( noch ) nicht gelesen habe, ist der Vorgängerroman zu dem hier besprochenen. Der dritte Teil soll folgen.

Mein Interesse für den Bosporus, das alte Byzanz, das Leben in der Türkei speziell in Istanbul, am Marmarameer und für das Schicksal der Protagonisten dieser Story ist jedenfall geweckt ! Ich vergebe 4 Sterne und eine Lesempfehlung für Freunde des entschleunigenden Lesens.