Rezension

zwischen Familie und Selbstfindung

Wo ist Norden - Barbara Handke

Wo ist Norden
von Barbara Handke

Niketsch liebt seine Jugendfreundin Marlene. Noch immer, obwohl sie mittlerweile mit seinem Bruder Konrad verheiratet ist und drei Kinder mit ihm hat.
Bei den Renovierungsarbeiten auf dem alten Gutshof hilft Nikita, genannt Niketsch (den Namen hat er dem russischen Politiker Nikita Chruschtschow und seiner Mutter zu verdanken, die alles russische liebt) seinem Bruder und seiner Schwägerin und hofft, bei der körperlichen Arbeit neue Ideen für seine brachliegende Doktorarbeit zu entwickeln. Insgeheim fragt er sich, ob Marlene nicht doch noch etwas für ihn empfindet und zu ihm zurückkehren könnte. Und dann lässt Marlene Niketsch durch eine Randbemerkung noch hoffen, die älteste Tochter Selma könnte auch von ihm sein und nicht von Konrad.

Der Erzähler Niketsch lässt das letzte Jahrzehnt noch einmal an sich vorüberziehen, die Zeit unmittelbar nach der Wende, als sein Bruder und seine Familie das renovierungsbedürftige Gutshaus mitten im mecklenburgischen Nirgendwo kaufen und darin ihre Träume verwirklichen wollen. Für Konrad bedeutet dies eine eigene Arztpraxis und für Marlene ein eigenes Cafe. Es ist eine Zeit des Aufbruchs und des Neubeginns.
"Wo ist Norden" ist ein Familienroman und für Niketsch eine Geschichte um Orientierung und der Suche nach dem rechten Platz im Leben. Oft habe ich ihm gewünscht, auch mal an sich selbst zu denken und nicht nur für seine Familie zurückzustecken.
Es fällt ihm schwer, sich auf eine neue Liebe einzulassen, solange er noch Marlene nachhängt. Und so scheitern einige seiner Beziehungen oder fühlen sich allenfalls lauwarm an.
Mecklenburg-Vorpommern mit seiner dörflichen Struktur, seinen Alleen und vielen Seen bilden die Kulisse für diesen Roman, für diese unaufgeregte, manchmal zart-traurige Geschichte um Freude und Last von Familienbanden und das rechte Maß zwischen Zugehörigkeit und Distanz. Lesenswert.