Rezension

Eine starke Frau

Bittersüße Mandeln -

Bittersüße Mandeln
von Hanna von Feilitzsch

Bewertet mit 5 Sternen

„...Für meinen Bruder und für mich war das nicht einfach. Wurzeln haben wir nie kennengelernt. Manchmal hatte ich als Kind das Gefühl, nicht im Boden verankert zu sein...“

 

Diese Worte sagt Stella am Krankenbett ihrer Mutter in Griechenland zu ihrem Onkel Oddy. Ihre Mutter hatte die Verbindung zur Familie gekappt. Stella weiß nichts über ihre Familie. Es ist Oddy, der nun die Zeit nutzt, um die Lücken zu schließen.

Die Autorin hat einen bewegenden Familienroman geschrieben. Die Geschichte spielt in zwei Handlungsebenen. Die Rahmenhandlung, die immer mal wieder aufgegriffen wird, ist in der Gegenwart verortet. Stella will ihre Mutter in ein Krankenhaus in München überführen lassen. Das dauert und das gibt Oddy Zeit für seine Erzählung. Der Strang der Vergangenheit beginnt 1944.

Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Er bindet gekonnt die historischen Ereignisse in die Handlung ein.

Stellas Großeltern Manolis und Anna leben in dem kleinen Bergdorf Mikro Chorio auf Peloponnes. Anna hat drei Kinder und ist wieder schwanger. Manolis hatte sich der Nationalen Befreiungsfront angeschlossen. Er erscheint kurz im Dorf, um Anna zu warnen. Der Ort soll angegriffen werden.

Mit drei Kindern und einem Leiterwagen mit den wichtigsten Habseligkeiten gelingt Anna in letzter Minute die Flucht. Mit mehreren Zwischenstationen bei Verwandten gelangt sie zu Fuß nach Athen.

 

„...Ein Leben auf der Straße erschien ihnen fürchterlich. Anna versprach, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie endlich ein Dach über dem Kopf hätten...“

 

Anna kommt mit den Kindern bei zwei Tanten unter. Deren Felder nutzt sie für den Gemüseanbau. Bald kann sie überschüssige Erträge verkaufen und sich so ein Unternehmen aufbauen, obwohl sie weder Lesen noch Schreiben kann. 1952 erscheint Manolis. Schnell begreift Anna, dass er nicht mehr der Mann ist, den sie geheiratet hat. Heute würde man von PTBS oder Depression sprechen. Doch die Regeln in Griechenland sind hart. Der Mann bestimmt, wo es lang geht.

 

„...Bald fühlte Manolis sich den neuen Aufgaben gewappnet und verbannte Anna von ihrem Arbeitsplatz. Sie sollte sich nur noch um die Kinder kümmern...“

 

Anna beugt sich der Entscheidung. Sie möchte aber, dass ihre Kinder ausreichend Bildung bekommen. Das war in Griechenland auch ein finanzielles Problem.

Sehr spannend fand ich die Einblicke in die griechische Politik. Gerade die USA hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Es zählte das große Weltgeschehen. Der kleine Mann hatte sich zu fügen. Deshalb auch hielten sich auf den Dörfern alte Denkstrukturen. Das zeigt sich besonders, wenn über die Hochzeit der Töchter diskutiert wird.

 

„...Wie oft wurde eine Person auf Äußerlichkeiten reduziert, nicht als Mensch gesehen, der sich dahinter verbarg, daran gehindert, die eigene Persönlichkeit zu entfalten...“

 

Außerdem gilt die Regel, dass erst die älteste Tochter verheiratet sein muss oder ins Kloster geht, falls sich kein passender Mann findet. Wir schreiben 1967!!

Oddy fasst das Ganze gegenüber Stella zusammen:

 

„...Vielleicht kannst du verstehen, dass es nicht immer einfach war, für mich, für deine Mutter, für uns alle, in einer Welt, die von engstirnigen Menschen dominiert wurde...“

 

Anna ist eine starke Frau, Immer wieder nimmt sie das Zepter in die Hand und sorgt für die Familie. Fast jede Niederlage steckt sie weg. Sie weiß, es muss weiter gehen.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ermöglicht den Blick in eine Welt und eine Gesellschaft, die von archaischen Strukturen geprägt ist. Den Kindern ist es gelungen, eigene Wege zu gehen. Der Preis dafür war manchmal hoch.