Rezension

Der Therapeut in der Bootsbauer-Werkstatt

Das rote Kanu -

Das rote Kanu
von Wayne Johnson

Bewertet mit 5 Sternen

Michael Fineday/Buck lebt nicht im Shakopee Mdewakanton Reservat, sondern in der Nähe, und arbeitet als Schreiner und Bootsbauer. Seinen Namen verdankt er dem Erzengel Michael; eine zweifelhafte Ehre, da er und seine Geschwister zwangsweise eine katholische Internatsschule besucht haben. Buck ist offenbar kaum etwas fremd, das Erwachsene Kindern und Jugendlichen antun. Als seine Frau Naomi nach längerer Trennung um seine Unterschrift unter die Scheidungspapiere bittet, ist er am Punkt angelangt, an dem er gegen sich selbst um sein Leben spielt. Seine Ehe scheiterte u. a. daran, dass Buck sich  jedem herrenlosen Tier und jeder verlorenen menschlichen Seele liebevoller zuwandte als seiner beruflich beanspruchten Frau.

Als „das Mädchen“ im pinken Hoody Bucks Grundstück betritt, spürt er sofort, dass Lucy Unaussprechliches passiert ist und er sie zurückhaltend behandeln sollte wie eine verwilderte Katze. Die 14Jährige  gewinnt  augenblicklich sein Herz, weil sie etwas von Hölzern versteht. Sie könnte die Auszubildende sein, von der er bisher nur geträumt hat. Der Focus wechselt zwischen Buck und Lucy, und so erfahren wir, dass sie mit ihrem verwitweten und in zwei amerikanischen Kriegen traumatisierten Vater in einfachsten Verhältnissen im Trailer lebt. Vater Lee Walters arbeitet als Polizist. Seine PTBS und Gewalttätigkeit bekommt er nur mühsam in den Griff und nur, wenn Lucy perfekt spurt und der Haushalt tipptopp in Ordnung ist. Dem Mann, dem jederzeit Arbeitsplatzverlust und  Entzug des Sorgerechts drohen und dessen Militärpistole in der Küchenschublade liegt, kann Lucy wirklich nicht anvertrauen, was passiert ist und was seine Polizeikollegen damit zu tun haben. 

Als  Lucys Freundin Jean ums Leben kommt  und die Dinge eskalieren, zeigt sich, dass über Lucy mit Booker und Ryan zwei auf ihre Weise sehr  treue Freunde wachen. Die Gruppe, die mit sexueller Gewalt den ganzen Ort zu beherrschen scheint, kann demnach längst nicht so ungestört agieren, wie ihre Mitglieder sich einbilden. Nicht nur Lucy sitzt nun in der Falle, die bisher nichts preisgegeben hat. Klugen Menschen wie Naomi kann sie allerdings nichts vormachen, die zu genau weiß, welche Schicksale es in Bucks Werkstatt zieht.

Auch wenn Wayne Johnson die alles durchdringende sexuelle Gewalt zurückhaltend schildert, geht es im dramatischen Showdown gnadenlos zur Sache.

Fazit

„Das rote Kanu“ ist ein Roman der schweigenden, nicht gesehenen und unterschätzten Figuren. Buck lebt vermutlich aus gutem Grund stark auf Privatsphäre bedacht, von Lucys Wächtern fragte ich mich erst nach einer Weile, wie sie aussehen - und weitere Figuren können durch unerwartete Stärken verblüffen. Sehr berührt hat mich die Annäherung beim gemeinschaftlichen Bootsbauen zwischen  Buck und Lucy; so entsteht u. a. das Kanu aus eigenwillig geflammter Rotzeder, das noch eine wichtige Rolle im Buch spielen wird. Zugegeben, ich habe auch darum gefiebert, dass Johnsons robuste Figuren dem roten Kanu keinen Schaden zufügen … Ein stets spannender Roman mit schüchterner Katze und hinreißenden Nebenfiguren