Rezension

Trauern muss man sich leisten können

Mein drittes Leben -

Mein drittes Leben
von Daniela Krien

Bewertet mit 4 Sternen

Im Krienschen Stil geschrieben

Linda und ihr Mann durchleben den Albtraum jeder Eltern: sie verlieren ihr Kind bei einem Unfall. Nach einer Krebstherapie zieht Linda sich dann in ein kleines Dorf auf einen alten Hof mit einer Hündin und ein paar Hühnern zurück und ergibt sich ganz der Trauer. Lebendig begraben, so sagen es all ihre Verwandten und Freunde und können ihr Verhalten nicht nachvollziehen oder billigen. Ihr Mann gibt irgendwann auf. Er will weiterleben und eine Beziehung führen. Linda findet keinen Sinn mehr im Leben nach dem glücklichen Familiendasein, sie sucht ihn auch nicht. Sie absolviert die Tage und meidet die Nächte durch den Konsum von gedächtnisauslöschenden Schlaf- und Beruhigungstabletten. Als sie ihren Rückzugsort verlassen muss, ist sie gezwungen, sich dem alten Leben wieder ein wenig anzunähern.

Doris Krien schreibt in ihrem gewohnt unprätentiösen Stil, der unpathetisch Menschliches, Existentielles zum Ausdruck bringt und den Leser berührt. Er liest sich immer leicht, auch wenn Schweres gesagt wird. Man fliegt mit ihm über die Seiten. Ihre Figuren sind auch diesmal wieder interessant angelegt, man lässt sich gern auf ihre Geschichte(n) ein. Im ersten Teil konnte ich mich gut in die Protagonistin hineinversetzen. Man fühlt das Hineinbrechen von etwas Unaussprechlichem in ein alltägliches Glück, die Unfähgikeit, diesem zu begegnen, damit umzugehen und sich daraus zu erheben. Man erlebt die Momente mit, in denen Linda versucht, sich selbst zu spüren, indem sie sich auf das existentielle Minimum zurückwirft und sich den Einflüssen der Natur aussetzt. Man kann verstehen, dass sie die Menschen und ihre Hilflosigkeit im Umgang mit ihrer Trauer meidet. Und gleichzeitig scheint dieser Rückzug auch mutig, sich nur auf sich und seinen Schmerz zurückzuziehen. Das Leben steht still und geht doch weiter.

Im zweiten Teil wird mir die Figur etwas fremd bzw. werde ich ihrer zum Ende hin ein wenig überdrüssig. Linda kehrt in die Stadt zurück. Sie nimmt sich eine kleine Wohnung, richtet sie stilvoll, wenn auch minimalistisch ein. Sie arbeitet morgens im Schrebergarten einer Freundin, nachmittags hört sie die Klassiker der Literatur und macht lange Wanderungen. Details aus ihrem langsam erwachenden Leben werden festgehalten: ein Luxusfrühstück, ein Leinenkleid, eine Bronzefigur der Kassandra, Besuche im Museum, bei Konzerten. Der Schmerz ist noch da, aber er tritt langsam in den Hintergrund. Die Genußfähigkeit erwacht wieder. Und dabei führt sie ein privilegiertes Leben, auch wenn gegen Ende einmal der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Erwerbsarbeit fällt. Sie ist frei, sich zu tun und zu lassen. Sie dreht sich um sich, auch wenn sie gemeinnützigen Organisationen spendet und einer alten Frau vorliest. Ihr ganzes Lebensumfeld ist kultiviert: der Mann Künstler, dessen Neue Krimiautorin, die Freundin erst Stimmbildnerin, dann beim Radio, die alte Frau einst Sprachwissenschaftlerin. Per se alles nicht verwerflich, auch wenn man sich fragt, wie jemand, dem es nicht vergönnt ist, nicht arbeiten zu müssen, in seinem Alltag Trauer über einen solchen Verlust wohl unterbringen mag. Was mich aber stört, dass sie – unbewusst, vielleicht auch ungewollt – aus ihrer bildungsbürgerlichen Stellung heraus anfängt, dass Leben ringsum zu bewerten, abzuurteilen: die Konsumgesellschaft, die fettleibigen Leute in einer von Müll verunstalteten Stadt, die nur auf ihr Smartphone glotzen und schlecht gekleidet sind. Ihre alte Freundin Esther ist ihr als schönheitschirurgisch verjüngte Lifestylerin ein Parasit an ihrem Leiden. Die neue Freundin wird zunehmend als mit der behinderten Tochter überfordert und schrill dargestellt. Die Neue des Nochehemannes erscheint mit ihrer Sippschaft dominant, eigensüchtig und ichbezogen. Der Kontrast wird auch deutlich an der Darstellung der Schrebergärten der beiden Parteien, die zufällig nebeneinander liegen: während Linda ganz naturnah dem Werden und Vergehen der Natur beiwohnt, wird der Schrebergarten ihres Mannes und seiner neuen Partnerin professionell von einem Gartenbauteam binnen weniger Tage eher dekoriert und in Szene gesetzt. Danach scheint er nicht mehr interessant und verwahrlost. Wohl ein Sinnbild für die Beziehung der beiden: mehr Schein als Sein. Als der Mann krank wird, ist es nicht die neue Partnerin, die er an seiner Seite wissen will, sondern Linda. Auch wenn das Ende offen ist, deutet sich hier für Linda ein Happy End an.

Ich habe das Buch mit großen Interesse gelesen, aber irgendwie stimmt mich die Entwicklung im zweiten Teil ein wenig ärgerlich. Dieser vor sich hergetragene bildungsbürgerliche Lifestyle überdeckt für mich das allgemein menschliche Ringen dieser Figur mit dem Leben in einer existentiellen Situation. Dieses Trauern und dieses aus der Existenz Geworfensein wird somit zu etwas, was man sich erst einmal leisten können muss – genauso wie der Weg zurück ins Leben. Wie macht das einer, der finanziell nicht in der Lage ist, sich ganz aus dem Leben und ganz auf sich selbst zurücknehmen kann? Oder trauert der nicht so?

Kommentare

schatzye kommentierte am 26. Juli 2024 um 01:18

Es fehlt definitiv die Spoilerwarnung, da das gesamte Buch zusammengefasst wird!