Rezension

Für mich ein absolutes Meisterwerk!

Das Wesen des Lebens -

Das Wesen des Lebens
von Iida Turpeinen

Bewertet mit 5 Sternen

Das perfekte Buch!!!

1741: Georg Wilhelm Steller strandet mit einer Expedition auf dem sogenannten Eiland "Behringinsel" und beschreibt dort als erster die später nach ihm benannte "Stellersche Seekuh", die nicht nur riesige, körperliche Ausmaße vorweist, sondern für die Gestrandeten auch noch deliziös schmeckt. 27 Jahre später ist das Tier ausgerottet, aber davon wissen weder ihre Entdecker, noch die nachfolgenden Generationen etwas. Über hundert Jahre später versucht der russische Gouverneur von Alaska, Johan Furuhjelm, die Seekuh wiederzuentdecken, doch während seiner Regentschaft muss er feststellen, dass nicht nur dieses Tier, sondern beispielsweise auch die ehemals stark verbreiteten Otter das Weite gesucht haben, was ihm vor allem wirtschaftlich vor große Probleme stellt. Erneut rund 100 Jahre später kämpft der Ornithologe John Grönvall um den Artenreichtum auf einer ausgelagerten Insel vor Helsinki zu bewahren, was ihm mit viel Geduld auch gelingt. Doch während seine vogelkundliche Arbeit im Laufe der Zeit in Vergessenheit gerät, schafft er es, der Stellerschen Seekuh ein Denkmal zu setzen.

Iida Turpeinen ist mit "Das Wesen des Lebens" ein Meisterwerk gelungen. Sie verknüpft nicht nur Naturwissenschaft mit Kulturgeschichte, sondern bietet auch literarisch eine hohe Kunst. Der Roman spielt auf drei Zeitebenen und in jeder davon wird der jeweilige Zeitgeist so anschaulich festgehalten, dass es den Lesenden ein leichtes ist, sich in die Charaktere und ihre Mentalität hineinzuversetzen. Mag der Umgang mit der Tierwelt für die heutige Zeit grausam erscheinen (weil wir unsere Grausamkeit durch Ignoranz verdrängen), veranschaulicht die Autorin gekonnt die Gedankenwelt der jeweiligen Epoche, die sich oft mit religiösen Glaubenseinstellungen begründen lässt. Genauso weiß sie den gesellschaftlichen Wandel hin zum Kapitalismus unterschwellig aufzuzeigen. Neben der Mensch-Natur-Perspektive thematisiert Turpeinen auch das patriarchale System, in dem Frauen eine untergeordnete Rolle spielten - sie mussten sich fügen und wurden in einer männlich geprägten Welt nicht ernst genommen oder als fähig betrachtet. Weiters zeigt sie historischen Ableismus auf, der Menschen mit Beeinträchtigungen an den Rand der Gesellschaft drängten, egal welche Herkunft sie hatten. Doch all dies geschieht nicht mit einem mahnenden, offensichtlichen Fingerzeig, sondern ist perfekt eingebettet in die Geschichte der Naturwissenschaft in Romanform, die uns die Autorin in nüchterner, zeitgenössischer Sprache darlegt.

Die Erzählung ist nicht nur hervorragend recherchiert, sie liefert auch Erklärungen für Verhaltensweisen, die sich heute für viele nur schwer nachvollziehen lässt. Somit ist sie eine lehrreiche Lektüre, die völlig ohne Offensichtlichkeit arbeitet. Der größte Aha-Moment für mich war, zu erfahren, dass Menschen früher die Möglichkeit des Aussterbens einer Art für unmöglich hielten, lebten sie doch in dem Glauben, dass Gott ihnen die Tierwelt zum reinen Vergnügen und in unerschöpflicher Art und Weise zur Verfügung gestellt hat. Die Erkenntnis darüber sickert nur langsam durch und zieht sich bis in die Gegenwart.

Mein Fazit: "Das Wesen des Lebens" ist für mich ein absolutes Meisterwerk und eines der besten Bücher, das ich den den letzten Jahren gelesen habe (und bestimmt noch etliche Male zur Hand nehmen werde). Die Autorin versteht es gekonnt, die Lesenden in eine mentalitäts- und kulturgeschichtliche Reise über den Umgang des Menschen mit der Natur mitzunehmen, ohne dabei zu offensichtlich zu sein. Ihre literarische Sprache passt sich dem jeweiligen Zeitgeist an und wirkt somit authentisch und nachvollziehbar. "Das Wesen des Lebens" ist ein Buch, dass ich allen ans Herz legen kann, die bereit sind, den Umgang mit unserer Umwelt kritisch zu hinterfragen und sich dabei auf ein vollkommenes Lesenabenteuer einzulassen.