Rezension

Ein anspruchsvoller literarischer Kriminalroman mit Schwächen

Fliege fort, fliege fort - Paulus Hochgatterer

Fliege fort, fliege fort
von Paulus Hochgatterer

Bewertet mit 3 Sternen

Ein anspruchsvoller literarischer Kriminalroman mit Schwächen

Kurzfassung

​"Die Decke", "Der Einzug in Jerusalem", "Die Wiederverwertung" und "Der Siegelring" - solch philosophische Namen trugen die Strafen, die vor vielen Jahren im Further Kinderheim an der Tagesordnung waren. Mittlerweile ist das Kinderheim geschlossen, in seinen Räumen befindet sich nun eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen diese Institution wächst und plötzlich wird die Idylle des kleinen Touristenstädtchens durch gleich zwei Ereignisse erschüttert: ein kleines Mädchen verschwindet spurlos und ältere Menschen werden angegriffen und körperlich schwer misshandelt. Wer steckt hinter diesen Verbrechen?

​Handlung

​Das Buch erstreckt sich auf mehreren Handlungsebenen, die erst am Schluss zu einem großen Ganzen zusammengeführt werden. Zum einen ist dort Doktor Horn und sein Team der Psychiatrie, zum anderen der Ermittler Kovacs und seine Kriminalisten und als Drittes das Sozialarbeiterteam des Jugendtreffpunktes Come In. Auch wenn diese drei Teams kaum Anknüpfpunkte miteinander haben, so führen sie doch unabhängig voneinander den Fall zur Lösung, bei dem jedoch nicht alle Fragen abschließend geklärt werden.

​Charaktere

​In jedem einzelnen Handlungsstrang begegnet dem Leser eine Vielzahl von Charakteren, die dazu führen, dass man schnell den Überblick verlieren kann. Die Eigenheiten der Hauptprotagonisten werden liebevoll, fast schon analytisch herausgearbeitet, während andere Personen vollständig unnahbar bleiben. Sich mit den Figuren zu identifizieren fällt schwer, zumal die Erzählperspektive häufig, und das auch innerhalb der einzelnen Kapitel, wechselt und es dem Leser überlassen bleibt, sich jedes Mal neu zu orientieren und zurechtzufinden.

​Schreibstil

​Bei Paulus Hochgatterers Roman "Fliege fort, fliege fort" handelt es sich um einen literarischen Kriminal- oder Ermittlerroman, der sich allein schon durch sein herausragendes sprachliches Niveau von anderen Thrillern und Krimis ganz klar abgrenzt. Der Stil des Autors ist anfangs gewöhnungsbedürftig, entwickelt dann aber eine Kraft und Faszination, die den Leser mitreißen und die menschliche Psyche und das menschliche Handeln auf fast schon anatomische Weise sezieren und gekonnt analysieren. Die Gespräche der Personen verlaufen oft kryptisch und es sind die kleinen Zwischentöne, die die Handlung voranbringen. Jedes Wort hat seine Berechtigung und nimmt in Hochgatterers Werk punktuell und präzise genau den Platz ein, den der Autor mit Raffinesse und Wortwitz dafür vorgesehen hat.

​Fazit

​"Fliege fort, fliege fort" ist kein Buch für den Strand oder für den Abend nach einem anstrengenden Tag, denn der anspruchsvolle Stil des Autors verlangt dem Leser einiges an Konzentration und Hingabe ab. Der Leser ist hier mehr als nur Konsument, sondern aufgefordert, den Zwischentönen zu lauschen, dem Ungesagten zu folgen und sich von der Schönheit der Sprache leiten zu lassen. Wenn man sich darauf einlässt, erlebt man einen literarischen Kriminalroman auf höchstem sprachlichen Niveau. 

Trotz dieser Begeisterung für die stilistischen Fähigkeiten des Autors und seiner Raffinesse, den Leser durch Subtilität und gewollte Langsamkeit mitzureißen, kann ich dem Buch nicht die volle Punktzahl geben. Denn obgleich Hochgatterer, allen voran durch die psychologischen Erklärungen und Entwicklungen des Romans, die Protagonisten annimmt wie sie sind und vorgibt, den Menschen mit all seinen Schwächen und Fehlern so zu akzeptieren wie er ist, lässt er sich im Verlauf der Geschichte zu einem für mich nicht passenden Schwarz-Weiß-Denken ein. Er verliert sich in dem moralisch und gesellschaftlich erwünschten Pathos von den einerseits guten, bedauernswerten, geschundenen Flüchtlingen und stellt diesen die bösen, verwerflichen, verdorbenen und dummen Neonazis gegenüber, was sich sowohl in deren Beschreibungen und Handlungen als auch in den Gedanken der Beteiligten widerspiegelt. An dieser Stelle hätte ich mir mehr Objektivität, mehr Distanz, mehr professionellen Abstand seitens des Autors gewünscht, denn gerade er als Psychologe sollte doch wissen, dass Menschen niemals nur Gut oder Böse sind, und dass die Hintergründe ihres Lebens das Spiegelbild ihres Daseins sind.