Rezension

Adam und Eva

Fünf Viertelstunden bis zum Meer - Ernest Kwast

Fünf Viertelstunden bis zum Meer
von Ernest Kwast

Bewertet mit 4 Sternen

Acht Kilometer sind es von Lecce aus an den Strand von San Cataldo – zu Fuß ist man fünf Viertelstunden lang unterwegs. 1945, der Krieg ist gerade vorbei, geht Ezio diesen Weg jeden Tag und sieht eines Tages dort Giovanna dem Meer entsteigen – in einem improvisierten Zweiteiler, der ihren Nabel enthüllt, und so heißt das Buch auch im niederländischen Original: Giovannas navel. Von da an ist ihr Nabel der Nabel von Ezios Welt. Vier Monate lang verbringen sie ihre Tage am Strand und erleben ihre ersten sinnlichen Freuden miteinander, bis Ezio die freiheitsliebende Giovanna durch seinen Heiratsantrag verschreckt. Tief verletzt durch ihre Ablehnung bricht er alle Brücken hinter sich ab und flüchtet nach Norden, bis er in Südtirol auf einer Apfelplantage strandet und fortan als Apfelpflücker arbeitet. Er ist bereits 84 Jahre alt, als ihn ein Brief erreicht, der ihn zu ihr ruft, und ohne Zögern macht er sich auf den Weg.

Auf gerade mal 96 Seiten die sechzig Jahre zweier Leben darzustellen ist keine Kleinigkeit. Van der Kwasts komprimierte Erzählweise verflicht die erzählerische Gegenwart mit Erinnerungen und taktet die vergehende Zeit durch Rückblenden auf historische Ereignisse, wie etwa die Bombardierung des Bikini-Atolls, nach dem Giovannas Zweiteiler benannt werden wird – „aber das ist eine andere Geschichte“, wie die Formel lautet, mit der er jeweils wieder zu seiner Erzählung zurückkehrt.

Van der Kwasts Erzählung hat in ihrer Einfachheit etwas Archaisches, und gerade darin liegt ihre Stärke. Wozu auch komplizierte Liebesgeschichten schreiben? Ist nicht die Liebe „an sich schon kompliziert genug“? Es ist eine unschuldig-ursprüngliche, animalische Leidenschaft, die Ezio und Giovanna verbindet in diesen Tagen am Meer. Auch van der Kwasts Sprache ist einfach, gleichzeitig aber von betörender Sinnlichkeit. Er braucht nicht viele Worte, um Bilder zu beschwören. Der Duft der Äpfel, der Wind, der einen Nabel streichelt … er lässt Giovanna als strahlende, wilde Eva erstehen, „stärker und größer “ als Ezio, der zu zaghaft ist, um ihr wirklich Adam zu sein und der sein Zaudern ein Leben lang bereut. Dass der Autor Ezio Apfelpflücker sein, ihn also für den Rest seines Lebens die Frucht vom Baum der Weisheit ernten lässt, in die er sich nicht zu beißen traute, ist eine schöne Konstruktionsidee.

Diese zutiefst romantische Geschichte spielt mit Archetypen und gewinnt dadurch eine erstaunliche Resonanz. Sie erzeugt – trotz verhaltenem Happy End – eine lyrische Traurigkeit, geht es doch um zwei verfehlte Leben, und doch – oder gerade deshalb – habe ich das Büchlein in einem Rutsch und mit Vergnügen gelesen. Am Ende war ich jedoch ein wenig ratlos. Adam und Eva mangelt es als Thema an Relevanz in einer Zeit, in der die alten Geschlechterrollen nicht mehr gelten und um neue noch gerungen wird.

Der Rückzug auf Archetypisches kann da keinen Aufschluss geben - oder doch?

 

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 15. Februar 2015 um 09:01

Eine schöne Rezension - klingt, als ob es sich lohnen würde, das Buch zu lesen.