Rezension

Äußerst empfehlenswert: Ein sehr gut geschriebenes, beklemmendes Sachbuch

Februar 33 -

Februar 33
von Uwe Wittstock

Bewertet mit 5 Sternen

»Für die Zerstörung der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als die Dauer eines Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat abreiste, kehrte Wochen später in eine Diktatur zurück«, schreibt Uwe Wittstock im Nachwort seines Buchs »Februar 33. Der Winter der Literatur« (S. 273). Der Autor beschreibt in kurzen Kapiteln die Entwicklung in Deutschland vom 28. Januar – am 30.1. wird Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt – bis zum 15. März 1933; am 5. März erhält die NSDAP bei den Wahlen 43,9 % der Stimmen, schon am 7. März, zwei Monate vor der als solche bekannten »Bücherverbrennung« am 10. Mai in Berlin, gab es an verschiedenen Orten die ersten Bücherverbrennungen (vgl. S. 233 f.).

In den Kapiteln schildert Wittstock, wie Menschen – vor allem Schriftsteller(innen), Schauspieler(innen), Verleger, also Personen aus dem Literatur- und Theaterbetrieb – in einem Land leben, das sich rasch und kontinuierlich zu einer Diktatur entwickelt: wobei die Entwicklung natürlich nicht erst mit dem Februar 33 begonnen hat. Diese Menschen sind überwiegend Demokraten und Nazi-Gegner und die Freiheit ihrer Berufsausübung, die persönliche Freiheit, ihr Leben sind zunehmend gefährdet. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler erwarten manche ein rasches Abwirtschaften der Nazis innerhalb weniger Wochen, dann Jahre – was daraus geworden ist, wissen wir.

Beklemmend ist es zu sehen, wie sich die Schlinge immer mehr zuzieht – zudem vor dem Hintergrund unseres Wissens um die Verbrechen Deutschlands und seiner Menschen in den Folgejahren: um die Verfolgung der Juden und die Shoah, den Mord u. a. an Sinti und Roma sowie an psychisch Kranken, die Verfolgung weltanschaulich Missliebiger bzw. von Nicht-Nazis und weiteren Gruppierungen, den Vernichtungskrieg im Osten. Jetzt aber, im Februar/März 1933, hoffen viele auf ein baldiges Ende der Nazi-Herrschaft, fliehen nur widerwillig oder im letzten Moment, weil sie hören, dass sie verhaftet werden sollen oder dass die SA, während sie nicht zu Hause waren, ihre Wohnung durchsucht hat.

Wittstock beschreibt das Leben u. a. der Manns (Heinrich, Thomas, Erika, Klaus), von Döblin, Ossietzky, Tucholsky, Kisch, Oskar Maria Graf und Mirjam Sachs, Toller, Therese Giehse, Helene Weigel und Brecht, Ricarda Huch, Kästner, Mascha Kaléko und vielen anderen an diesen Tagen, auch von Vertretern und Sympathisanten der Nazis wie Hanns Johst, Max von Schillings und Gottfried Benn – wobei er sich nicht auf diese Zeit beschränkt, sondern auch kurz auf das Leben und Schaffen der Menschen zuvor eingeht. Wir werden Zeuge, wie Juden und Jüdinnen, demokratisch Gesinnten die Arbeitsgrundlage immer mehr entzogen wird, indem etwa die SA Theateraufführungen von der Regierung und der NSDAP Missliebigen verhindert; wie Hitler und die Seinen nach dem Wahlerfolg die Bedingungen schaffen, um Andersdenkende und Juden nach Gutdünken verhaften oder ermorden zu können und um eine umfassende Zensur der Künste einzurichten. Die Wendung gegen Andersdenkende, gegen Jüdinnen und Juden, gegen die Freiheit der Meinungsäußerung und der Kultur – dass die Nazis ihre antidemokratische und menschenfeindliche Haltung also vor den Wahlen allgemein sichtbar demonstrierten – änderte nichts am Wahlerfolg der NSDAP. Im Mittelpunkt des Buchs stehen aber die Menschen, ihr Leben und die Art, wie sie sich in einer nicht erwarteten Situation verhalten bzw. zur Entwicklung der Diktatur stellen.

Uwe Wittstock hat ein sehr gut lesbares Sachbuch geschrieben – und durchaus mit Bezug zu unserer Gegenwart; denn das völkische Denken, das schon in den 1930 Jahren aus der Zeit gefallen war, weil es ein homogenes Volk annimmt, dass es schon damals nicht gab und heute erst recht nicht gibt, hat mit der heutigen AfD und anderen rechten Gruppierungen eine Renaissance erfahren, ebenso wie die Gepflogenheit, sich mit Menschen, mit deren Anschauungen und Handeln man nicht übereinstimmt, nicht sachlich auseinanderzusetzen, sondern sie als Personen zu diskreditieren und abzuwerten, sie aus dem, wie man sich als Mensch bzw. »Deutscher« (aus NSDAP- bzw. AfD-Sicht), verhalten und wie man denken sollte, auszuschließen.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 06. Mai 2022 um 14:51

Schon allein die Rezi ist megaspannend :) Das könnte was für mich sein! Danke dir!

Steve Kaminski kommentierte am 07. Mai 2022 um 16:43

Danke für Dein Statement! Hier kannst Du ins Buch reingucken, mit Leseprobe https://beckassets.blob.core.windows.net/productattachment/readingsample...

wandagreen kommentierte am 07. Mai 2022 um 19:03

Wiederholt sich wirklich alles? Sehr traurig.