Rezension

Alles eine Frage der Dosis?

Honesty. Was die Wahrheit verbirgt -

Honesty. Was die Wahrheit verbirgt
von Franzi Kopka

Inhalt:

Nach einer großen Panedemie und einem darauf folgenden Krieg hat sich in Sestiby einiges verändert. Die Menschen stehen unter dem Einfluss eines Medikaments namens Veritas, das dafür sorgt, dass Gefühle wie Missgunst, Eifersucht, Wut, Neid, Panik, Hass und Trauer nicht mehr empfunden werden können. Auch sorgt Veritas dafür, dass es dem Anwender nicht mehr möglich ist, Lügen auszusprechen.

Mae lebt mit ihrer Familie in Sestiby. Schon seit Jahren ist sie in ihren Kindheitsfreund Aiden verliebt. Doch seit geraumer Zeit datet dieser ein Mädchen namens Ann.

Dass bei Mae Veritas nicht richtig anzuschlagen scheint, stellt schon alleine aus diesem Grund ein großes Problem dar. Denn ein Gefühlsausbruch, der von den falschen Menschen gesehen und gemeldet werden würde, würde sie als Liar entlarven und schlimmstenfalls eine Abschiebung nach Ring 8 und somit den Ausschluss aus der Gesellschaft nach sich ziehen.

Als Aiden eines Tages seine Verlobung mit Ann verkündet, bricht für Mae eine Welt zusammen. Es sind nicht nur die Gefühle, die sie zu kontrollieren versucht, auch das Ehegesetz, dass von allen Bewohnern Sestibys verlangt, dass diese bis zum 21. Lebensjahr verheiratet sein sollen, schürt zusätzlichen Druck. Auch, wenn Mae noch drei Jahre Zeit hat, so weiß sie, was ihr bevorsteht, sollte sie bis dahin keinen passenden Partner finden: Sie würde das Recht auf freie Berufswahl verlieren und dort eingesetzt werden, wo ihre Kraft am dringendsten benötigt wird. Sie würde nicht in die höheren Ringe aufsteigen, sondern in Ring 7 landen.

Mae unterdrückt also ihren Widerwillen und lässt sich von ihren Dads und ihrer kleinen Schwester sowie ihrem großen Bruder Nick, der als Aufsehender für die Regierung arbeitet, überreden, sich bei der Dating-App Eternity anzumelden. Doch gerade, als sie ihr Profil abschicken möchte, bekommt sie eine Fehlermeldung.

Kurz darauf erfahren Mae und ihre Familie von einer kürzlich eingeführten Neuerung der Regierung: Es soll fortan ein Programm namens PEP geben. Eines, dass für eine glücklichere Zukunft sorgen soll. Hierzu werden alle Personen, die sich im entsprechenden Alter befinden und noch keinen Partner gefunden haben, in ein Camp eingeladen. Diverse Tests und Veranstaltungen sollen dafür sorgen, dass jeder letztlich sein perfektes Gegenstück finden wird. All das wird von der KI zusätzlich unterstützt.
Am PEP-Programm soll jeder teilnehmen. Für alle sollen gleiche Voraussetzungen geschaffen werden.

Alle bereits bestehenden Verlobungen werden mit Einführung des Programms aufgelöst. Das Programm bietet zwar allerhand Möglichkeiten, doch Mae erkennt darin auch ein großes Problem. Denn mit der Teilnahme an PEP wird sie die schützende Unterstützung ihrer Familie verlieren. Lediglich ihr Bruder könnte, sofern er mit ihr einer Gruppe zugeordnet werden sollte, an ihrer Seite sein. Die Gefühle, die sie immer wieder übermannen, die Panikattacken würden mit Sicherheit dafür sorgen, dass Mae auffliegt.

Als wüsste Mae nicht schon gut genug, wie schnell ein unliebsames Gefühl bei ihr hervorbrechen kann, sorgen kleine Geschehnisse im Alltag immer wieder für eine unliebsame Erinnerung an ihr allgegenwärtiges Problem. So begegnet sie in einer Bahn einem jungen Mann, der sie nicht nur ungeschickt anrempelt, so dass ihr ihre geliebten EarPods auf den Boden fallen. Er zerstört einen der Pods auch noch, indem er drauf tritt. Anstatt sich zu entschuldigen, grinst der Unbekannte Mae dreist an und ergreift die Flucht. Die frostblauen Augen des unverschämten Kerls bleiben Mae genauso im Gedächtnis, wie die Tatsache, dass er in ihrem Gesicht mit Sicherheit das Aufkeimen des tückischen Gefühls der Wut erkannt hat.

Als Mae also im Camp eintrifft, muss sie nicht nur fürchten, dass ihr die vielen angekündigten Tests zum Verhängnis werden, sondern auch, dass sie mit Aiden oder gar Ann in einer Gruppe landen könnte. Dass jedoch „Mr. Frost“, der Mann aus der S-Bahn, in ihrem Team sein könnte, damit hat Mae so gar nicht gerechnet ...

 

Meinung:

Nach „Gameshow“, ein Fall von früher Meisterschaft, wusste ich sofort, dass ich das nächste Buch von Franzi Kopka unbedingt würde lesen müssen.

Meine großen Erwartungen, die ich an „Honesty“ hatte, wurden, soviel sei an dieser Stelle gerne schon vorweg gesagt, nicht enttäuscht. Auch „Honesty“ ist sehr gelungen.

In Sestiby sorgen eine KI namens AISS und eine Rundumüberwachung für die Sicherheit der Bewohner. Ein Medikament namens Veritas, das in der Lage ist, jegliche Emotionen zu unterdrücken, für Ordnung und Frieden.

Die Wirkung von Veritas empfand ich als sehr interessant. Denn sobald eine Frage gestellt wird, ist das Gegenüber verpflichtet, eine Antwort zu geben. Tut es das binnen weniger Sekunden nicht, durchströmt es eine unangenehme Hitze, die bald zu einem starken Brennen im Mundraum wird und letztlich Herzprobleme hervorruft. Final setzt im schlimmsten Fall das Herz aus. Die gleiche Symptomatik wird durch eine ausgesprochene Lüge verursacht.

Sestiby ist in 8 Ringe aufgeteilt. Die Wohlhabendsten leben in Ring 1 und schwelgen im Luxus. In Ring 2 finden sich Firmen, in denen nur tagsüber gearbeitet wird, wie Werbeagenturen, Architekturbüros und Forschungszentren. Ab Ring 3 abwärts wird auch nachts gearbeitet. Eine ständige Geräuschkulisse durch die Fabriken sorgt zum Teil für schlaflose Nächte. Umso höher die Ringzahl, umso prekärer die Lebensverhältnisse. In Ring 7 leben die Menschen, die keinen Partner gefunden haben und müssen sich der Arbeit fügen, die ihnen vom System zugewiesen wird. Schlimmer ergeht es nur noch jenen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen und in den Ring 8 verstoßen werden.

Regelmäßige Gefährdungsanalysen, bei denen die Bewohner mit Fragen konfrontiert werden, sorgen dafür, dass subversive Elemente definiert werden.

Der Autorin gelingt es, Mae – die Protagonistin des Romans - schnell ins Herz des Lesers hineinzuschreiben. Denn Maes größter Traum besteht darin, im Zentralarchiv des Centers zu arbeiten und ihre große Liebe Aiden zu ehelichen. Sie scheitert lediglich daran, dass sie nicht so ist, wie das System es gerne hätte.

Mit dem Beginn des Partnerschaftsprogramms entwickelt sich neben der allgegenwärtigen Spannung, die stets präsent ist, weil Maes Gefühlsausbrüche dazu führen könnten, dass diese aussortiert und abgeladen werden könnte, noch ein zusätzlicher interessanter Part für den Leser. Denn an dem neuen Programm nehmen auch die amtierenden Regierenden teil. Mae und somit der Leser erhalten – ungewollt – Einblick in eine Welt, die ihnen zuvor verborgen war. Nebenher entwickelt sich zudem eine sehr interessante Liebesgeschichte. Eine, die natürlich nicht sein darf.

 

Fazit:

Grandios! Das ist das erste Wort, das mir nach dem Lesen von „Honesty“ in den Sinn kam. Franzi Kopka stellt ein totalitäres System zur Schau und es gelingt ihr diesem einen unglaublichen Spannungsbogen abzugewinnen.

Das Heilsziel eines „Neuen Menschen“ hat Kopkas Welt mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts gemein. Das größte Problem ist, dass sich die Institutionen in ihrer Welt vordergründig tolerant zeigen. Der Unzufriedenheit mit den realen biologischen, intellektuellen und moralischen Eigenheiten der Bewohner begegnet die herrschende Klasse aber mit KI und Medikamenten.

Anpassung oder Widerstand: Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich in totalitären Regimen Menschen vermeintlich entscheiden können. Widerstand wurzelt hier allerdings in Emotionalität und nicht in einer autonomen Entscheidung. Das macht das Buch so interessant.

Das Buch lässt einen allerdings mit einem fiesen Cliffhanger zurück, der sich gewaschen hat.

Alles in allem kann ich sagen, dass der neueste Roman von Franzi Kopka für mich erneut Potenzial zum Jahreshighlight zeigt.