Rezension

Anwärter auf das Jahreslesehighlight: "Kerl aus Koks" - Michael Brandner

Kerl aus Koks -

Kerl aus Koks
von Michael Brandner

Bewertet mit 5 Sternen

KOKS (Leichter, poröser, stark kohlenstoffhaltiger Brennstoff)

Der 4jährige Paul, "einer aus dem Heim", lebte Mitte der 50er Jahre glücklich in einem an das Schlaraffenland gemahnenden "Wursthimmel" in Bayern bei Tante Hannah, die sich unermüdlich darum bemühte, dass das "arme Hascherl was auf die Knochen kriegt", und deren Mann, Onkel Hans, welcher ihr an Zuneigung und Fürsorge Paul betreffend nicht nachstand. Ein die Atmosphäre und Pauls Lebenseinstellung kennzeichnendes vorabendbrotliches Gespräch endete: "Hast du dir die Hände gewaschen?" Paul nickte. Das war zwar nicht ehrlich, aber es sparte Zeit.
Da erschien plötzlich seine "schmallippige" leibliche Mutter, welche - vorsorglich in Begleitung eines Anwalts - ihn aus dem ländlich-einfachen, aber überaus harmonischen Leben reißt, da er es einmal "besser haben und nicht mit Dorfdeppen zur Schule gehen soll".
Paul wird in den Ruhrpott verpflanzt, wo er sich bis 1965 bleibt. Ihn begrüßt dort ein "großer dunkler Mann mit einer leicht schiefen Nase und einem guten Grinsen", das ist Helmut, sein neuer Papa. Dieser wird einer der wichtigsten Menschen in Pauls Leben werden und bleiben und ist ein gutes Gegengewicht zu der auch charakterlich schmallippigen Mutter.
Hier liefert der Roman eine beeindruckende Milieustudie über das Ruhrgebiet der damaligen Zeit mit viel menschlicher Wärme, aber auch häufig vorkommenden verzweiflungsbedingten Alkoholexzessen.
Paul lernt rasch, sich neuen Gegebenheiten und Menschen problemarm anzupassen und zehrt von dieser Fähigkeit bei seinen bis in die 90er Jahre hinein überaus spannend und unterhaltsam erzählten und teilweise auf wahren Begebenheiten beruhenden Abenteuern.
Das mit einem passenden Cover versehene Buch beginnt mit einer Art Vorwort "Paul und ich" und endet mit der zum Niederknieen guten Betrachtung "Gestern. Heute. Morgen."
Ein Wort zum Autor: Der Name Michael Brandner sagte mir bisher nichts, obwohl mir aus dem Vorabendprogramm eine in Bayern angesiedelte ARD-Krimiserie flüchtig bekannt ist. Herr Brandner spielt dort "Reimund Girwidz".
Und ein Wort zu mir: Das Buch hat mir unwahrscheinlich gut gefallen und mich tief berührt. Es war leicht und schwer zugleich, es zu rezensieren, da ich nicht zu viel verraten möchte. Meine Rezension wird deshalb diesem überaus (be)merkenswerten Buch keinesfalls gerecht.
Fazit:
Vom Inhalt und vom Erzählstil her definitiv ein Jahres-Lese-Highlight!