Rezension

Auf den Punkt

Scherbentanz -

Scherbentanz
von Chris Kraus

Bewertet mit 4 Sternen

Jesko von Solm hat Leukämie. Zu seiner Mutter Käthe hat er seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr, seit sie versucht hat Jesko und seinen Bruder Ansgar umzubringen. Nun soll aber die Mutter als Knochenmarkspenderin Jeskos letzte Überlebenschance sein. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Mutter leidet an diversen psychiatrischen Erkrankungen, ist schwere Alkoholikerin und sowieso Persona non grata in der Familie von Solm.

Es ist eine sehr verstörende Geschichte über eine äußerst dysfunktionale Familie, die der deutsche Autor und Filmregisseur Chris Kraus in seinem Roman „Scherbentanz“ erzählt. Kraus‘ Protagonist Jesko, so wie auch dessen Bruder Ansgar, erlebte eine Kindheit an der Seite einer psychotischen Mutter und eines kaltherzigen Vaters. Der Patriarch von Solm etablierte sich in der Baustoffindustrie, ist in zweiter Ehe ganz klassisch mit der ehemaligen Sekretärin verheiratet. Die nationalsozialistische Vergangenheit seiner Herkunftsfamilie trägt Gebhard von Solm als Aushängeschild vor sich her. Ansgar tritt ins Familienimperium ein. Aber der Exzentriker Jesko distanziert sich von der Familie, hebt sich allein schon im Aussehen und Kleidung – er hat ein Faible für Herrenröcke – ab, ist nicht von Beruf Sohn, sondern wurde Modedesigner. Mit der Philosophie Senecas und erstklassigem Zynismus rüstet er sich gegen alles, was ihm nahekommen könnte. Erst seine Erkrankung treibt ihn gezwungenermaßen in den kalten Schoß der Familie zurück.

„Kaum ein Mensch weiß um die eigene Seele, ihren Geiz, ihre Arroganz, ihre Habgier oder abgrundtiefe Gemeinheit. Wir alle sind blind, wenn es um die andere Seite unseres Mondes geht, auf die kein Sonnenstrahl trifft.“

Jeskos vordergründige Arroganz beginnt zu bröckeln, als er sich seiner Mutter zu nähern beginnt. Käthe hat einige große Auftritte. Nie kann man sich bei ihr sicher sein, ob diese ihrem Wahnsinn entsprechen oder bewusst in Szene gesetzt werden.

Die Szenerie beherrscht Chris Kraus, dies ist sicher auch seinem Metier als Filmregisseur geschuldet. Pointiert, bitterböse, voller schwarzem Humor bringt er diese zerbrochene Familie auf den Punkt. Ein Scherbentanz.