Rezension

Im Angesicht des Todes...

Scherbentanz -

Scherbentanz
von Chris Kraus

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein eigenwilliger Familienroman der besonderen Art: zynisch-melancholisch-leicht. Knapp gehalten und verdichtet und doch voller Emotionen...

Jesko ist ein Freak, ein junger Modedesigner, der gerne Röcke trägt. Gesellschaftlichen Normen und Zwängen beugt er sich nicht – schließlich hat er Leukämie und nicht mehr lange zu leben. Unter einem Vorwand wird Jesko in die großbürgerliche Villa seiner Familie gelockt. Seine Mutter käme als Knochenmarkspenderin in Betracht. Doch Jesko verweigert sich ihrer Hilfe. Denn einst hat diese Frau ihm und seinem Bruder Furchtbares angetan.

Wer das Thema Krankheit, Tod und Trauer scheut - der kann bei diesem Roman gerne zugreifen. Meine Befürchtungen angesichts des Klappentextes haben sich nicht bewahrheitet, sondern ganz im Gegenteil: hier darf herzhaft gelacht werden. Auch. Denn manchmal bleibt einem das Lachen schon ein wenig im Halse stecken, was aber mehr an den Ungeheuerlichkeiten liegt, mit denen der Leser hier konfrontiert wird, als an einem abschiedlichen Leben...

 

Ein Sommer kann sehr kurz sein. Dann kommt ein bisschen Herbst, und im Handumdrehen liegt Laub auf den Friedhöfen. (S. 32)

 

Jesko ist todkrank, ja, aber außerdem und vor allem ist er ein Zyniker, der das Leben dadurch versucht erträglich zu gestalten, indem er stets ein Buch des altrömischen Philosophen Seneca bei sich trägt - zu dem er aber, wie sich später herausstellt, ebenfalls eine zynische Einstellung pflegt. Wie überlebenswichtig der Zynismus für Jesko ist, stellt der Leser rasch fest, als er dessen Familie kennenlernt: Vater, Mutter, Stiefmutter, Stiefgeschwister und Bruder samt Freundin. Ausreichend Stoff, der manch anderen in die Verzweiflung getrieben hätte, doch Jesko hat seinen eigenen Weg gefunden, mit den Widrigkeiten des Lebens im Allgemeinen und der Familie im Besonderen umzugehen.

Die Zement-Dynastie hat Jesko nie gereizt, die aalglatten Verlogenheiten der High-Society ebenso wenig. Sein Bruder dagegen folgt dem Vater nach, wird das Zementwerk Solm dereinst übernehmen, und hält sich auch an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Upperclass. Jesko dagegen ist eher das schwarze Schaf der Familie, interessiert sich für Mode, trägt Röcke statt Hosen und sagt recht unverblümt was er denkt. Doch der Vater will den nahenden Tod seines Sohnes nicht einfach hinnehmen und greift daher nach jedwelchem Rettungsanker.

Dafür wurde Jeskos Mutter ausfindig gemacht, die seit Jahrzehnten von der Bildfläche verschwunden war. Obdachlos, Alkoholikerin, psychisch krank - für die ach so ehrenwerte Familie Solm definitiv kein Vorzeigekandidat. Und so verbannt der Vater seine Ex-Frau in das 'Tantenhaus', ein kleines Häuschen am See - und Jesko gleich noch dazu. Jesko behagt diese Vorstellung gar nicht. Er mag sich nicht um seine Mutter kümmern, die ihn und seinen Bruder nicht nur im Stich gelassen, sondern als Kinder fast umgebracht hätte. Würde er ihre Dieste als Knochenmarkspenderin tatsächlich in Anspruch nehmen? Wohl kaum.

Doch Jesko richtet sich ein in dem Sommer in seinem Elternhaus, schläft in den warmen Nächten auf der Veranda, kämpft gegen eine Mäuseplage und stellt sich auf seine zynische Art seinen Erinnerungen wie auch aktuellen Ereignissen, die einige Familiengeheimnisse zu Tage bringen, die manch einer wohl lieber im Verborgenen gehalten hätte. Was für eine Familie! Es ist nicht zu viel gesagt, dass einem Jeskos Mutter im Verlauf der Erzählung fast noch als die zugänglichste und normalste Person erscheint.

 

Und das Leben glich den Kondensstreifen am Himmel, die in alle Richtungen verblassten. (S. 223)

 

Diese eigenwillige Familiengeschichte wird in einer verknappten Sprache erzählt, aufs Wesentliche reduziert, dabei aber hinter dem Zynismus voller Emotionen im Hintergrund. Melancholisch aber leicht - große Kunst.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, allerdings bleiben am Ende einige angerissenen Themen bzw. Fragen offen, was mich doch etwas störte. Deshalb gibt es von mir hier nicht die volle Punktzahl. Aber empfehlen kann ich den Roman dennoch - für jeden, der gerne einmal etwas ganz anderes lesen möchte.

 

© Parden